Hunderte Kilometer Weg für einen Kanister Alkohol Von Marc Niedzolka, dpa

Desinfektionsmittel ist in diesen Tagen eine gefragte Ware. Apotheken
dürfen dies mittlerweile selbst herstellen. Für die Zutaten nehmen
manche einen langen Weg in Kauf.

Anklam (dpa/mv) - Dutzende Menschen stehen in einer Schlange auf dem
Gelände der Zuckerfabrik in Anklam (Landkreis Vorpommern-Greifswald).
Einige haben Zettel in der Hand. Höchstwahrscheinlich ist es eine
Kopie der Apothekenbetriebserlaubnis oder der Lieferschein für eine
gefragte Ware. Sie stehen an diesem Mittwoch für Ethanol an, der in
Zeiten der Corona-Krise nicht leicht zu bekommen ist. Der Alkohol ist
eine wichtige Zutat für Desinfektionsmittel, das Apotheker
mittlerweile auch selbst herstellen dürfen. Dafür nehmen einige von
ihnen Hunderte Kilometer Fahrt auf sich.

Einer von ihnen ist der Schweriner Apotheker Frank Dencker. Er hat
nach eigenen Worten etwa 220 Kilometer zurückgelegt, um zur
Zuckerfabrik nach Anklam zu fahren. «Ich hätte mir nie vorstellen
können, dass ich im Internet nicht an die Stoffe herankomme», erzählt

er. Vor einem halben Jahr herrschte laut Dencker absolute Ruhe, es
seien alle Ausgangsstoffe da gewesen. In den vergangenen zwei Wochen
sei die Wahrscheinlichkeit allerdings rapide gesunken, an die Stoffe
zu gelangen.

Nach Angaben der Landes-Apothekenkammer dürfen Apotheken bis Ende
August Desinfektionsmittel für Privatpersonen herstellen, für
medizinische Einrichtungen bis Anfang September. Diese Verfügung habe
die Situation ein Stück weit erleichtert. Nicht alle Arztpraxen
hätten zuletzt mit Desinfektionsmittel beliefert werden können.

Der Andrang ist groß in Anklam. Rund 13 000 Liter Ethanol seien in
etwa fünf Stunden verkauft worden, teilt die Zuckerfabrik mit. Sogar
aus anderen Bundesländern reisten Apotheker an. «Das ist eine der
wenigen Stellen, wo ich noch direkt Ethanol bekommen», berichtet
Dencker. Bundesweit helfen auch Alkoholhersteller, um bei dem
Ethanol-Engpass zu helfen.

Einen nicht ganz so weiten Weg hat der Apotheker Steve Raude aus
Franzburg (Landkreis Vorpommern-Rügen). Der Bedarf ist aber auch bei
ihm groß: «Ich kann derzeit nicht so viel holen, wie ich gerne
hätte.» Noch gefragter als Desinfektionsmittel seien derzeit
Schutzmasken bei den Kunden.

Die Zuckerfabrik unterstützte bereits in der vergangenen Woche die
Apotheker mit Ethanol. Dort waren es nach eigenen Angaben mit etwa
5000 Litern noch deutlich weniger. Die Aktion sei in der kommenden
Woche erneut geplant.

Die Mitarbeiter der Fabrik tragen Bauhelme, weiße Schutzanzüge und
Handschuhe auf dem Gelände. Der Alkohol wird aus einem riesigen Tank
mit Schläuchen in Kanister abgefüllt. Die Szenerie hat ein bisschen
etwas von einem Vorratskauf an einer Tankstelle. Doch dort tragen die
Käufer in der Regel nicht Dutzende Kanister in ihren Kofferraum. Der
mitunter weite Weg der Apotheker soll sich schließlich lohnen.