Corona-Krise: Putin verschiebt Abstimmung über Verfassungsänderung Von Ulf Mauder und Christian Thiele, dpa

Die Corona-Pandemie macht Kremlchef Putin einen Strich durch die
Rechnung. Er ist gezwungen, die Abstimmung über die
Verfassungsänderung für seinen Machterhalt zu verschieben. Zugleich
macht er seinem Volk neue Geschenke, darunter eine Woche arbeitsfrei.

Moskau (dpa) - Kremlchef Wladimir Putin verschiebt wegen der
Corona-Pandemie die für ihn politisch besonders wichtige Abstimmung
über die größte Verfassungsänderung der russischen Geschichte. Ein

neuer Termin werde später je nach Entwicklung der Lage angesetzt,
sagte Putin am Mittwoch in einer Fernsehansprache an sein Volk.
Ursprünglich sollte am 22. April über das Grundgesetz abgestimmt
werden. Es sichert Putin deutlich mehr Machtbefugnisse zu - und
ermöglicht es ihm, noch bis 2036 im Amt zu bleiben, sollte er 2024
und 2030 erneut als Präsident kandidieren. Zugleich sicherte der
Präsident im Kampf gegen die Krise breite finanzielle Unterstützung
zu - für Bürger und Unternehmen.

«Wir sollten verstehen, dass Russland schon allein wegen seiner
geografischen Lage sich nicht der Bedrohung entziehen kann», sagte
Putin in zurückgelehnter Haltung dem Publikum. Viel sei schon getan
worden, um die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen. Trotzdem sei
es nun wichtig, Kontakte einzuschränken. Putin appellierte an die
Bevölkerung, jetzt «Disziplin und Verantwortung» zu zeigen und
zuhause zu bleiben. Die kommende Woche - vom 30. März bis 5. April -
erklärte er dazu überraschend für arbeitsfrei.

Die Vertagung der Volksabstimmung über das Grundgesetz ist für Putin

ein schwerer innenpolitischer Schlag. Vor allem auch die Opposition
hatte immer wieder verlangt, dass ein neuer Termin angesetzt
werde. Der Oppositionsführer Alexej Nawalny hatte Putin vorgeworfen,
aus reiner Machtgier mit der Abstimmung das Leben besonders älterer
Menschen wegen des Virus zu gefährden. Staatsnahe Trolle im Internet
wiederum warfen Nawalny vor, mit Agitationsmaterial das Virus im Land
zu verbreiten. Wegen des Coronavirus hatte etwa die Hauptstadt Moskau
Straßenproteste gegen die Verfassungsänderung verboten.

Seit langem gab es immer wieder Forderungen, dass Putin sich an das
in der Krise verunsicherte Volk wenden solle - auch angesichts der
dramatischen wirtschaftlichen Lage in Russland. Putin, der am 26.
März 2000 das erste Mal ins Präsidentenamt gewählt wurde, sieht sein

Land aktuell in der schwersten Krise. «Die Wirtschaft Russlands
erlebt einen starken Druck durch die Folgen der Epidemie», sagte er.
Der Präsident versprach kinderreichen Familien mehr Geld. Auch die
Hilfe für Arbeitslose solle von 8000 auf 12 130 Rubel (142 Euro)
steigen, sagte er.

Zugleich ordnete Putin Schritte an, um eine Kapitalflucht aus
Russland zu bremsen. Aktiengewinne sollen künftig mit 15 Prozent
besteuert werden. Auf Zinserlöse bei Einlagen von über einer Million
Rubel (11 700 Euro) werden 13 Prozent fällig. Das betreffe ein
Prozent der Bevölkerung, sagte er. Der ohnehin durch den Crash beim
Ölpreis geschwächte Rubel verlor bei der Rede des Präsidenten weiter

an Wert gegenüber dem Euro und Dollar. Putin warnte Arbeitgeber
davor, durch Entlassungen die Arbeitslosigkeit weiter zu erhöhen.
Kreditforderungen sollten aufgeschoben, Bankrotterklärungen von
Unternehmen vermieden werden, betonte er.

Die Lage um das Coronavirus hatte sich in den vergangenen Tagen in
Russland massiv verschärft. Der Anstieg der Infiziertenzahlen
beschleunigte sich. Offiziell hatte Russland am Mittwoch
658 Coronavirus-Fälle, davon 410 in Moskau. Die russische Hauptstadt
untersagte alle Veranstaltungen unter freiem Himmel. Geschlossen sind
unter anderem auch Kultur- und Sporteinrichtungen. Mehr als
1,9 Millionen Menschen, die älter als 65 sind, müssen von diesem
Donnerstag an zu Hause bleiben. Für den 67 Jahre alten Putin gilt das
aber nicht, wie der Kreml betonte.

An der für ihn ebenfalls wichtigen größten Militärparade zum Sieg d
er
Sowjetunion über den Hitlerfaschismus hielt Putin zunächst fest. Die
Vorbereitungen auf das traditionell am 9. Mai von Hunderttausenden
Menschen auf der Straße gefeierte Großereignis liefen weiter. Das
russische Verteidigungsministerium überprüfte allerdings nach eigener
Darstellung auch die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte für den
Fall eines großflächigen Ausbruchs der Lungenkrankheit Covid-19.

Das Militär hatte mehr als ein Dutzend Flugzeuge, Personal und
medizinische Ausrüstung nach Italien geschickt, um dort im Kampf
gegen die Ausbreitung des Virus Sars-CoV-2 zu helfen. Dem Militär
geht es zudem darum, Erfahrungen für den Einsatz gegen das Virus in
Russland zu sammeln.

Präsident Putin, der sich am Dienstag in einem Schutzanzug in einem
Moskauer Krankenhaus über die Lage des Gesundheitssystems
informierte, kündigte weitere Schritte im Kampf gegen das Virus in
den kommenden Tagen an. Wichtig sei jetzt, dass sich die Menschen an
die Empfehlungen der Ärzte hielten. «Ganz verhindern können wir den
Ausbruch (des Virus) in unserem Land nicht», sagte er. Aber jeder
müsse jetzt helfen. Das russische Parlament plante eine massive
Verschärfung der Strafen wegen Verstoßes gegen die
Quarantänevorschriften.

Den 20. Jahrestag seiner ersten Wahl zum Präsidenten begeht Putin an
diesem Donnerstag in der Hauptstadt Moskau. Dort will er sich nach
Kremlangaben unter anderem mit Unternehmern treffen. Zunächst hieß
es, er wolle in seine Heimatstadt St. Petersburg reisen. Geplant ist,
dass er vor einem Bildschirm an dem im Videoformat organisierten
G20-Sondergipfel der Staats- und Regierungschef teilnimmt.