«Wir werden kämpfen» - Bundestag im Corona-Krisenmodus Von Ulrich Steinkohl, dpa

Der Bundestag ist in den Sitzungswochen ein quirliges Haus. Doch
Quirligkeit ist in Zeiten von Corona nicht angesagt. Abstand halten -
so lautet das Gebot der Stunde. Auch das Tempo der Beratungen ist
ungewöhnlich.

Berlin (dpa) - Menschentrauben in den Aufzügen, dicht besetzte
Besuchertribünen, Köpfe-Zusammenstecken unter Abgeordneten - so geht
es normalerweise in den Sitzungswochen im Reichstagsgebäude zu. Nicht
so am Mittwoch. Der Bundestag ist im Corona-Krisenmodus. Und das
gleich in mehrfacher Hinsicht: inhaltlich, in den Abläufen und im
Verhalten sowieso.

«Wir tagen unter außergewöhnlichen Umständen», sagt
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gleich zu Beginn der auf einen
Tag gestutzten Sitzungswoche. Und er ermahnt die Abgeordneten, die
Sicherheitsvorkehrungen penibel einzuhalten. Schließlich unterlägen
sie den gleichen Beschränkungen wie alle. «Abstand voneinander ist
unsere wichtigste Schutzmaßnahme», betont der CDU-Politiker.

Abstand - das bedeutet, dass im Plenarsaal zwischen den Abgeordneten
jeweils zwei der lilafarbenen Stühle frei bleiben. Auf jedem liegt
ein weißes Blatt mit der in Großbuchstaben geschriebenen Aufforderung
«Bitte frei lassen!». Manche Abgeordnete zeigen beim Eintreffen im
Plenarsaal leichte Orientierungsschwierigkeiten angesichts des
eingeschränkten Platzangebots.

Und auch das Abstandhalten fällt einigen schwer, wie vor Beginn der
Sitzung zum Beispiel eine AfD-Vierer-Gesprächsrunde um Fraktionschef
Alexander Gauland zeigt. Als der AfD-Politiker Armin Paul Hampel
meint, eines der weißen Schilder ignorieren und doch auf einem der
gesperrten Stühle Platz nehmen zu können, wird er vom daneben
sitzenden Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki (FDP)
verscheucht. Und die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der
Grünen-Fraktion, Britta Haßelmann, pfeift während der Debatte die
etwas abseits zum Plausch zusammenstehenden AfD-Politiker Bernd
Baumann und Stephan Brandner zusammen.

Doch die Vorsicht ist insgesamt deutlich spürbar. Schäuble beschreibt
den Spagat, den das Parlament zu vollbringen hat: «Wir sind uns
fraktionsübergreifend einig, die Handlungsfähigkeit des
Verfassungsorgans unter allen Umständen zu wahren und gleichzeitig
das Infektionsrisiko so weit wie möglich zu minimieren.»

Olaf Scholz ist morgens der Erste, der mit seinem schwarzen
Aktenkoffer auf der Regierungsbank Platz nimmt. Der Vizekanzler und
Bundesfinanzminister vertritt Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die noch
in häuslicher Quarantäne ist. Ihr Platz mit der leicht erhöhten
Rückenlehne bleibt frei.

Scholz schickt im Namen aller Abgeordneten «herzliche Grüße ans
Homeoffice», bevor er zu einer Art Regierungserklärung ansetzt. Der
SPD-Mann stimmt die Bevölkerung auf schwierige Zeiten ein und bemüht
sich zugleich, Mut zu machen: «Vor uns liegen harte Wochen. Und doch,
wir können sie bewältigen.»

Die Bundesregierung unternehme alles Mögliche, um die sozialen und
wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abzumildern, betont
Scholz - und muss doch eine gewisse Unsicherheit einräumen. Denn:
«Dafür gibt es kein Drehbuch. Es gibt keinen vorgefertigten Plan, dem
wir jetzt einfach folgen können.»

Für Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt steht daher fest:
«Wir werden Fehler machen.» Auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus
räumt ein: «Wir wissen nicht, ob wir jetzt alles richtig
entscheiden.» Aber man werde entscheiden, «weil jetzt die Zeit des
Handelns ist». Die Bundesrepublik stehe wahrscheinlich vor der
größten Herausforderung ihrer Geschichte. «Diese Herausforderung
haben wir uns sicherlich nicht gewünscht, aber wir werden sie
annehmen», sagt der CDU-Politiker. «Wir werden kämpfen.»

Zu diesem Kampf gehört der Nachtragsetat mit einer Schuldenaufnahme
von 156 Milliarden Euro. Der Finanzminister, bisher ein strikter
Verfechter der schwarzen Null, spricht von einer «gigantische Summe».
Aber: «Wir können uns das leisten.»

Die Debatte wird in ungewöhnlich gedämpfter Stimmung geführt.
Wortgefechte - wie sonst bei Entscheidungen mit so großer Tragweite -
bleiben aus. Unruhe kommt nur auf, als AfD-Fraktionschef Gauland mit
Blick auf die verhängten Einreiseverbote an eine Standardforderung
seiner Partei erinnert: «Man kann also die Grenzen schützen. Und wir
werden die Regierung bei Gelegenheit daran erinnern.»

Doch der Grundtenor ist auf Konsens ausgerichtet. «In einer Zeit, in
der Abstand der beste Schutz ist, müssen wir zusammen stehen», sagt
der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich. Das gilt der Situation
im Land. Es passt zugleich zu den Beratungen über die
Milliarden-Hilfspakete, die in einem Eiltempo durch den Bundestag
gebracht werden, das zu normalen Zeiten unvorstellbar wäre. Erste,
zweite und dritte Lesung der Gesetze erfolgen an nur einem Tag.

FDP, Grüne und Linke machen deutlich, dass sie nicht mit allen
Punkten einverstanden sind, einiges falsch finden, anderes vermissen.
Aber: «In dieser Zeit steht Kooperation vor Konkurrenz», sagt
Göring-Eckardt. «Regierung und Opposition tragen in diesen Zeiten
eine gemeinsame staatspolitische Verantwortung», sagt
FDP-Fraktionschef Christian Lindner. Alle Fraktionen verbinde ein
Ziel: «Schaden vom deutschen Volk und der Bevölkerung abzuwenden».

So passieren am Nachmittag nach ultrakurzer Beratung die Gesetze wie
der Nachtragshaushalt mit breiter Mehrheit den Bundestag. Dank
Opposition kommen auch 469 Stimmen für das Aussetzen der im
Grundgesetz verankerten Schuldenbremse zustande. Das ist weit mehr
als die erforderliche Kanzlermehrheit von 355 Stimmen - und weit mehr
als Union und SPD Sitze haben.