Vereinsamt im Homeoffice? - Berliner Politik im Krisenmodus Von Stefan Kruse und Andreas Heimann, dpa

Politik hat viel mit direkten Kontakten zu tun - zwischen
Parteifreunden, Abgeordneten, Senatsmitgliedern. In der Coronakrise
ist das schwierig. Viele Entscheidung fallen nun auf andere Weise.

Berlin (dpa/bb) - Politik ist Dauerkommunikation, meistens im
direkten Austausch, auch für Berlins Grünen-Fraktionschefin Antje
Kapek. Doch in der Coronakrise hat sich das dramatisch verändert.
Parteitermine von der Vorstands- bis zur Kreisverbandssitzung gibt es
für sie nur noch als Videokonferenz, ebenso die Fraktionssitzung.

Parteiübergreifend wurden alle Treffen, Arbeitskreise, Sitzungen in
üblicher Form abgesagt, die Mitarbeiter der Fraktionen und Parteien
sitzen fast alle im Homeoffice. Büros sind dicht. Über Parteigrenzen
hinweg tauschen sich die Fraktionschefs, die sonst einmal in der
Woche zusammenkommen, ebenfalls nur noch am Telefon aus. Persönliche
Verabredungen: Fehlanzeige.

Und so sieht Kapeks Kalender inzwischen ungewohnt aus: «Ich habe es
noch nie erlebt, so lange keine Abend- oder Wochenendtermine mehr zu
haben. Das ist eine sehr skurrile Erfahrung.» Ihr Telefon glüht: «Ich

habe mal fünf Minuten nicht aufs Handy geguckt, da waren schon 85
neue Nachrichten da.» Kommunikation sei auch deshalb anstrengender
geworden, «weil man nicht einfach über den Gang rufen kann.» Bei
Telefonkonferenzen werde außerdem mehr geredet. «Was ich als Nachteil
empfinde», so Kapek. «Der Vorteil ist: Ich kann dabei kochen oder
sogar Yoga machen.»

Auch CDU-Fraktionschef Burkard Dregger, der vom Homeoffice ab und an
noch in sein Büro ins Abgeordnetenhaus fährt, macht jetzt viele neue
Erfahrungen. «Ich sitze vereinsamt im Büro», sagt er augenzwinkernd.

«Mein Leben hat sich völlig verändert.» Normalerweise gehe sein
Arbeitstag von 06.00 oder 07.00 bis 23.00 Uhr - mit nahezu täglichen
Abendterminen. Nunmehr läuft alles unpersönlich ab.

Er vermisse die Begegnung, die Möglichkeit, in Gesichter und Augen
seiner Kollegen zu schauen, so Dregger. Gleichzeitig sieht er den
Ausnahmezustand pragmatisch. «Man muss die Realitäten anerkennen und
sich darauf einlassen.» Schließlich habe die Sache auch Vorteile.
«Ich sehe meine Familie jeden Abend. Das ist ein großer Gewinn.»

Politik im Krisenmodus betrifft das gesamte Parteileben. Sitzungen
des Vorstands, Kreistreffen, Parteitage, Veranstaltungen in den
Wahlkreisen - für die kommenden Wochen und Monate abgesagt. Linke und
CDU etwa halten die Mitglieder mit wöchentlichen Newslettern und
Rundmails auf dem Laufenden, nicht nur die FDP setzt verstärkt auf
Social Media-Kanäle. Einige Parteien testen die Live-Übertragung von
Diskussionsrunden oder Vorträgen auf Facebook.

Aber die Parteien wollen auch ganz praktisch Heimat für ihre
Mitglieder sein. «In den Bezirksverbänden gibt es Telefonaktionen,
bei denen gezielt vor allem die älteren Genossinnen und Genossen
angerufen werden», schildert Linke-Sprecherin Diana Buhe. «Niemand
soll in dieser Zeit vereinsamen.» Viele Mitglieder beteiligten sich
an «Soliketten» in der Nachbarschaft, helfen bei Einkäufen. Ähnlich
es
Bild bei der SPD: «Wir telefonieren regelmäßig mit allen Mitgliedern,

die bei uns keine E-Mail-Anschrift hinterlegt haben, und fragen nach,
ob alles in Ordnung ist», so Parteisprecherin Claudia Kintscher. Die
AfD baut gerade einen Lieferdienst für ältere Mitglieder auf.

«Die derzeitige Situation ist für das Innenleben der Partei eine
große Umstellung», sagt FDP-Sprecher Peter Kastschajew. Aber in
dieser Krise stecke auch die Chance, Strukturen einmal neu zu denken
- auch mit Blick auf weitere digitale Kommunikations- und
Demokratieplattformen. «Diese Chance wollen wir nutzen.»

Wie lange der Politik-Krisen-Betrieb durchzuhalten ist, ist offen. Er
birgt auch Risiken. Kapek sieht vor allem zwei: Zum einen fahre der
parlamentarische Betrieb runter, und das beeinträchtige die
Möglichkeiten, den Senat zu kontrollieren. Zum anderen dominiere
Corona die politische Agenda dermaßen, dass andere Themen darunter
leiden. «Auch solche, bei denen etwas passieren muss.»

Tatsächlich ist die Funktionsfähigkeit des Abgeordnetenhauses derzeit
stark eingeschränkt. Von den Fachausschüssen, in denen die
eigentlichen Entscheidungen des Parlaments diskutiert und vorbereitet
werden, tagen nur wenige wegen unaufschiebbaren oder besonders
wichtigen Belangen - unter Wahrung der geltenden Abstandsregeln. Am
Donnerstag steht eine Kurzsitzung des Plenums auf dem Programm. Wie
das Parlament angesichts der ersten Corona-Fälle von Abgeordneten
indes dauerhaft arbeitsfähig bleiben soll, ist offen.

Beschlussfähig ist es nur, wenn mindestens 81 der 160 Abgeordneten
ihre Stimme abgeben können. SPD und CDU plädieren deshalb für eine
Änderung der Verfassung, die ein Notparlament mit nur 27 Abgeordneten
möglich machen soll. Das ist bei den anderen Fraktionen aber
hochumstritten. Zu den Szenarien, die diskutiert werden, gehören zum
Beispiel auch digitale Lösungen wie Abstimmungen von zu Hause aus.

«Den jetzigen Zustand werden wir auf Dauer nicht durchhalten können»,

meint CDU-Mann Dregger. Spätestens nach Ostern werde der
Handlungsdruck wachsen, weil wichtige Gesetzesvorhaben nicht länger
liegenbleiben könnten.