17-Jähriger betreibt Website zum Coronavirus - Millionen Nutzer Von Barbara Munker, dpa

Ein Teenager in den USA betreibt eine der meistbesuchten
Coronavirus-Webseiten weltweit. Bereits seit Dezember stellt der
17-Jährige Zahlen und Fakten zusammen. Er wollte einfach etwas
«Cooles» machen, sagt der Schüler.

Seattle (dpa) - Das Wort «cool» rutscht dem 17-jährigen Schüler Avi

Schiffmann ständig raus. Eigentlich wollte er nur eine coole Webseite
basteln, erzählt der Teenager aus Seattle im US-Bundesstaat
Washington im Telefoninterview mit der Deutschen Presse-Agentur -
«übersichtlich, leicht verständlich und mit aktuellen Zahlen über d
ie
Coronavirus-Verbreitung», erklärt der Gymnasiast. Mit seiner Seite
«ncov2019.live» schloss der Schüler früh eine Informationslücke u
nd
zog Millionen Nutzer an, lange bevor Behörden oder
Wissenschaftsinstitute weltweite Zahlen über die Pandemie lieferten.

Bereits Ende Dezember stellte Schiffmann seine Coronavirus-Webseite
ins Netz, als China gerade die ersten Krankheitsfälle meldete und
sich in Washington noch niemand rührte. «Es fing nach Weihnachten als
kleines Projekt an. Natürlich ahnte ich da nicht, wie groß das Virus
und meine Webseite werden», erzählt der Schüler.

«Allein in den letzten 24 Stunden waren es rund 20 Millionen
Besucher», sagt er stolz. Mit der Ausbreitung des Virus sei auch die
Nutzung exponentiell gestiegen, 144 Millionen waren es im letzten
Monat. Die Kommentare auf der Seite sind voll des Lobes: «Tolle
Arbeit», «weiter so», «besser als andere Informationsquellen»,
schreiben Nutzer.

Die Homepage präsentiert die wichtigsten Fakten zu der weltweiten
Coronavirus-Krise. Unter «Quick Facts» gibt es Angaben zu den
globalen Zahlen: Krankheitsfälle, Tote, Schwerkranke und Genesungen.
Die Zahlen werden jede Minute aktualisiert. In weiteren Rubriken
folgen die Daten von Kontinenten, einzelnen Ländern und
US-Bundesstaaten. Dazu gibt es interaktive Karten und einen
Wiki-Bereich mit wichtigen Informationen zu Covid-19.

Schon als Kind habe er sich das Programmieren beigebracht, sagt der
17-Jährige. «Ich habe alles von YouTube-Videos gelernt, wie man eine
coole Webseite macht, mit der ich Leuten helfen kann». Doch ein
Kinderspiel ist das nicht, räumt Schiffmann ein.

Zuerst zapfte er für seine Website chinesische Regierungsseiten an,
um an Informationen heranzukommen. Er fügte Quellen aus anderen
Ländern hinzu, darunter Nachrichtenseiten, die US-Gesundheitsbehörde
CDC und die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Der Nachwuchs-
Programmierer entwickelte eine «Scraping Software», die ständig Daten

sammelt und seine Webseite kontinuierlich aktualisiert.

Jede freie Minute verbringe er am Computer, wenn er nicht gerade
Interviews gebe, sagt Schiffmann. Zeit hat er genug, denn auch im
US-Staat Washington haben wegen der Corona-Krise längst Schulen und
die meisten Geschäfte geschlossen. Die Menschen sollen weitgehend in
ihren Häusern bleiben. Sein anderes Hobby sei Skilaufen, erzählt der
Brillenträger, aber auch die Skigebiete hätten alle schließen müsse
n.

Der Schüler mit dunklem Lockenkopf hat eine jüngere Schwester, seine
Mutter ist Ärztin, der Vater Medizinjournalist. Doch sein Motiv sei
nicht das medizinische Phänomen der Virusverbreitung, sondern sein
Interesse an Zahlen und Faktenbeschaffung. «Im Zeitalter von Fake
News ist es wichtig, gute Quellen und zuverlässige Zahlen zu finden»,
sagt Schiffmann.

Fake News über das Coronavirus verbreiten sich derzeit offenbar
genauso schnell wie der Erreger selbst. Aber wer steckt dahinter? Für
den Fake-News-Forscher und Kommunikationswissenschaftler Tilman
Klawier von der Universität Hohenheim ist die Absicht derzeit
nicht immer deutlich. Wurden Lügen in der Vergangenheit häufig
verbreitet, um mit Klicks Geld zu verdienen oder die eigene Ideologie
unter die Leute zu bringen, so ist die Motivation im Fall des
Coronavirus seiner Ansicht nach nicht unbedingt erkennbar.
«Vielleicht ist es ein individuelles Geltungsbedürfnis, Langeweile
oder einfach ein gestörter Erfindungsreichtum.»

Längst bastelt Ave Schiffmann daran, komplexere Zusammenhänge in die
Webseite einzubauen. Neben der absoluten Zahl der Infektionen etwa
die Zunahme der Fälle von Woche zu Woche. Oder einen
Impfstoff-Tracker mit Forschungsergebnissen. Oder Statistiken über
die Zahl der Tests in verschiedenen Regionen. Die Ideen sprudeln nur
so aus ihm raus.

Auch mit Kritik an anderen Internetseiten ist Avi schnell dabei. Die
CDC-Webseite der Behörden in Washington sei viel zu langsam und mit
den Zahlen immer hinterher, erzählt der Schüler. Er bemäkelt auch die

viel verwendete Corona-Infoseite der US-Universität Johns Hopkins als
«völlig unbrauchbar» auf mobilen Geräten.

Täglich gehen dem Teenager die Coronavirus-Zahlen durch den Kopf. «In
den USA wird alles noch viel schlimmer, wenn es endlich mehr Tests
gibt», prophezeit Schiffmann. In Deutschland würde die niedrigere
Todesrate unter Corona-Infizierten hervorstechen. Und noch etwas sei
auffällig: «Die meisten Besucher aus Europa auf meiner Webseite
kommen aus Deutschland, schon mehr als 8 Millionen Nutzer.» Damit
liege Deutschland auf Platz drei, nach den USA und Taiwan.

Ein Ende der Corona-Krise ist noch nicht in Sicht. Doch Schiffmann
denkt schon voraus, etwa über einen neuen Webseitennamen
«GermTracker.com». «Wenn das hier einmal endet, denke ich mir 20 neue

Projekte aus», sagt der Schüler. «Ich will meine eigene Firma gründ
en
und coole Sachen machen, um der Welt zu helfen.»