Mehr häusliche Gewalt erwartet - kaum freier Platz in Frauenhäusern

Sie flüchten vor Schlägen, Drohungen und Misshandlungen: Jedes Jahr
finden etwa 700 Frauen Schutz in Frauenhäusern. Was passiert in den
Zeiten von Corona. Wenn Familien enger zusammenleben als sonst?

Magdeburg/Halle (dpa/sa) - Das zwangsweise Zusammenrücken von
Familien in den Zeiten der Corona-Pandemie wird nach Einschätzung von
Experten auch zu mehr häuslicher Gewalt führen. Gleichzeitig wird
befürchtet, dass der Platz in Rückzugsräumen wie den Frauenhäusern

noch knapper wird. «Es gibt noch vereinzelt Kapazitäten in
Sachsen-Anhalt», sagte die Landeskoordinatorin bei häuslicher Gewalt
und Stalking Sachsen-Anhalt, Anke Weinreich. Die Frauenhäuser in
Magdeburg und Halle seien jedoch bereits «bis unter's Dach voll».

Das Land ist laut Justiz- und Gleichstellungsministerin Anne-Marie
Keding bereit, die Kapazitäten der Frauenhäuser aufzustocken. «Ich
befürchte, wir müssen uns in den kommenden Wochen auf eine Zunahme
der häuslichen Gewalt einstellen», sagte die CDU-Politikerin am
Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. «Wir stehen in engem Austausch
mit den Frauenhäusern, um schnell reagieren zu können.» Das
Ministerium bereite die Finanzierung weiterer Plätze vor. Einzelne
Frauenhäuser hätten Ausbaukapazitäten signalisiert. Das Land erwäge

auch eine Lockerung des Personalschlüssels.

Derzeit sei noch nicht zu erfassen, inwieweit die häusliche Gewalt
zunimmt, sagte Weinreich. Dass es zu einem Anstieg kommt, erwartet
auch der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg, Klaus
Tewes. «Die Decke fällt den Leuten jetzt schon auf den Kopf.»

Weinreich sagte, es gehe gerade turbulent zu in den Frauenhäusern.
Bei Corona-Verdachtsfällen müsse beispielsweise ein Aufnahmestopp
verhängt werden. Die Kolleginnen seien quasi ohnmächtig: Auf der
einen Seite wollten sie den Frauen und Kindern Schutz bieten, auf der
anderen Seite führten sie Gespräche mit Gesundheitsämtern und
Trägern.

Es gebe Überlegungen, weniger Frauen aufzunehmen, um die
Hygienevorschriften und Abstandsregeln einzuhalten. In den
Frauenhäusern gebe es Gemeinschaftsbäder und -küchen. Aktuell gibt es

laut der Landeskoordinatorin 19 Frauenhäuser im Land mit rund 120
Plätzen für Frauen und knapp 160 für Kinder. Von Haus zu Haus seien
die Bedingungen sehr unterschiedlich. Jährlich bieten die
Einrichtungen etwa 700 Frauen und ihren Kindern Schutz.

Schnell und unkompliziert Frauenhaus-Kapazitäten aufzustocken, hält
Weinreich für schwierig. Es gebe unterschiedliche Ideen.
Schutzwohnungen in leeren Pensionen einzurichten etwa, sei eine
Möglichkeit. «Es fehlt aber an geschultem Personal.» Frauen und
Kinder, die Gewalt erlebt hätten, bräuchten nicht nur den Schutzraum,
sondern auch psychosoziale Begleitung, es brauche Fachleute, die mit
Traumatisierten umgehen könnten.

Laut dem Justiz- und Gleichstellungsministerium läuft derzeit eine
Abfrage über zusätzliche räumliche Kapazitäten, um Coronavirus-Fä
lle
und Verdachtsfälle im Schutzsystem der Frauenhäuser unterbringen. Es
sollten nicht nur geprüft werden, ob leerstehende Ferienwohnungen
oder Pensionen genutzt werden könnten, sondern auch
Mutter-Kind-Einrichtungen, erklärte Keding nach einer
Telefonkonferenz von Bund und Ländern weiter.

Weinreich appellierte trotz der angespannten Lage, aufmerksam zu
bleiben. «Wenn Nachbarn Streit mit Gewaltausübung wahrnehmen, bitte
unbedingt die Polizei rufen, weil es nach wie vor Möglichkeiten der
Wegweisungen oder Gefährderansprachen gibt.»

Halles Beigeordnete für Bildung und Soziales, Katharina Brederlow,
betonte, sie erreichten zunehmend Fragen zu häuslicher Gewalt. «Hier
sind ausreichend Kapazitäten da», sagte sie. Die Beratungsstelle des
Frauenschutzhauses arbeite weiter, sei allerdings nur über Telefon
und E-Mail zu erreichen.

Es gibt aber auch zusätzliche Beratungsangebote wie etwa seit
Wochenbeginn eine telefonische Konfliktberatung in Wernigerode. Die
Verantwortlichen fassten die aktuelle Situation so zusammen: «Es
entstehen Unsicherheiten sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern.
Gefühle von Angst, Ärger und auch Wut steigen auf! Neben den
Einschränkungen sozialer Beziehungen ändert sich auch die Rolle der
Eltern, wenn sie ihre Kinder ganztags betreuen, erziehen und bilden -
oft noch neben der Berufstätigkeit. Dies alles gilt es zu Hause
möglichst konfliktfrei zu vereinbaren.»