Bundestag berät milliardenschweres Corona-Krisen-Paket

Im Eilschritt stellt die deutsche Politik die Weichen für ein
Milliarden-Paket gegen die Folgen der Corona-Pandemie. Die USA wollen
die Wirtschaft mit zwei Billionen Dollar stützen. Die EU-Staaten
ringen noch um eine gemeinsame Linie.

Berlin (dpa) - Der Bundestag entscheidet an diesem Mittwoch über das
historische Hilfspaket für Bürger und Unternehmen in der
Corona-Krise. Es soll in bisher kaum vorstellbarem Tempo beschlossen
werden. Der Bund will mit mehreren großen Rettungsschirmen und
umfangreichen Rechtsänderungen Familien, Mieter, Beschäftigte,
Selbstständige und Unternehmen in der Corona-Krise schützen. Die
Schuldenbremse im Grundgesetz soll ausgesetzt werden. Dies legt die
Grundlage für einen Nachtragshaushalt mit einer sonst unzulässigen
Schuldenaufnahme von rund 156 Milliarden Euro.

Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki verteidigte die
Verabschiedung der weitreichenden Gesetze im Eilverfahren. «Wir haben
eine Lage, in der aktuell schnell gesetzliche Grundlagen geschaffen
werden müssen, damit die Exekutive handlungsfähig bleibt», sagte der

FDP-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Zugleich
betonte er: «Dieses beschleunigte Verfahren wird definitiv nicht der
legislative Normalfall.»

Gesetzesbeschlüsse im Schnellverfahren habe es immer mal wieder
gegeben, sagte Kubicki. «Jedem Beteiligten ist klar, dass so etwas
nur in Notsituationen angewendet wird.» Es gehe «um viele Milliarden
Euro, die unser Land stabilisieren sollen in den unruhigen Zeiten,
die jetzt kommen werden».

Mit dem Nachtragshaushalt befasst sich an diesem Mittwoch auch der
Bundesrat in einer Sondersitzung. Die Gesetze, mit denen die
wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise abgefedert werden
sollen, sollen die Länderkammer dann bereits am Freitag passieren.

Für das von der schwarz-roten Koalition geplante Aussetzen der
Schuldenbremse zeichnete sich im Bundestag die erforderliche Mehrheit
ab, obwohl voraussichtlich mehrere Dutzend Abgeordnete von Union und
SPD fehlen werden. Das Grundgesetz sieht die Möglichkeit vor, dass
der Bund im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen
Notsituationen mehr Schulden aufnimmt als sonst erlaubt.

Bei der namentlichen Abstimmung sind mindestens 355 der insgesamt 709
Parlamentarier nötig, die sogenannte Kanzlermehrheit. Die
Fraktionsspitzen von FDP und Grünen empfahlen ihren Abgeordneten,
zuzustimmen. Auch Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kündigte
Zustimmung an: In der Krise zeige sich, dass die strikte Begrenzung
der Neuverschuldung den Staat «handlungsunfähig» mache, sagte er der

«Neuen Osnabrücker Zeitung» (Mittwoch).

Die Abgeordneten sollen zudem eine Notlage in Deutschland durch die
Corona-Pandemie feststellen. Der Bund würde damit verstärkte
Befugnisse beim Infektionsschutz erhalten. Eltern sollen Geld
bekommen, wenn sie durch Verdienstausfall wegen Kita- oder
Schulschließungen zu Hause bleiben müssen. Die erst am Montag vom
Bundeskabinett beschlossenen Gesetze sollen am Freitag bereits den
Bundesrat passieren.

Die AfD-Fraktion kündigte an, sie wolle mehrere Änderungen
vorschlagen, werde das Maßnahmen-Paket der Bundesregierung aber im
nationalen Interesse mittragen. Diese müssten aber bereits nach
wenigen Wochen überprüft werden, sagte der Vorsitzende des
Haushaltsausschusses, Peter Boehringer, am Dienstagabend. «Man kann
die Leute nicht ewig kasernieren», fügte er hinzu.

Die Abgeordneten tagen unter bisher einmaligen
Gesundheitsvorkehrungen. Zahlreiche Plätze im Plenum sollen leer
bleiben, damit zwischen den Abgeordneten genug Abstand bleibt. Die
Wahlurnen für namentliche Abstimmungen stehen in der Lobby außerhalb

des Plenarsaals, weil dort mehr Platz ist.

Bundesaußenminister Heiko Maas rief zu mehr internationaler
Solidarität im Kampf gegen die Corona-Pandemie auf. «Das Resultat der
nationalen Kraftanstrengungen, die jetzt bei uns allen gefordert
sind, darf nicht eine Spirale nationaler Egoismen sein», sagte der
SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur vor den für Mittwoch
geplanten Beratungen der G7-Außenminister. Die Außenminister sieben
führender westlicher Industriestaaten schalten sich am Nachmittag zu
einer vierstündigen Videokonferenz zusammen.

Die rasante Ausbreitung des Coronavirus wird zu den Hauptthemen
zählen. Mit Italien zählt das derzeit am stärksten betroffene Land
zur G7. Von den USA sagt die Weltgesundheitsorganisation, dass sie
das neue Epizentrum der Pandemie werden könnten.

Die EU-Staaten ringen im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der
Corona-Krise um eine gemeinsame Linie. Zur Debatte stehen neue
Kreditlinien des Eurorettungsschirms ESM, wie Eurogruppen-Chef Mario
Centeno am Dienstagabend nach einer Schaltkonferenz der
EU-Finanzminister sagte. Doch sei vor einer Festlegung noch Arbeit
nötig. Entscheidungen würden am Donnerstag bei einem Videogipfel der
EU-Staats- und Regierungschefs erwartet.

Der Grünen-Finanzpolitiker Sven Giegold zeigte sich unzufrieden. «Die
Euro-Finanzminister haben wieder nur beraten aber nichts
beschlossen», kritisierte der Europaabgeordnete. «Die bisherige
Unfähigkeit der Eurogruppe zu einer gemeinsamen fiskalpolitischen
Antwort auf die Corona-Krise ist enttäuschend.» Die Regierungschefs
seien gefordert, am Donnerstag ein umfangreiches europäisches
Hilfsprogramm zu beschließen.

Das von US-Kongress und Regierung vorbereitete Coronavirus-
Konjunkturpaket hat nach Angaben von Präsident Donald Trump ein
Volumen von rund 2 Billionen Dollar (1,9 Billionen Euro). Mit diesem
«größten und mutigsten» Paket der US-Geschichte könnten die
wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Epidemie abgefedert werden,
sagte Trump am Dienstag im Weißen Haus. Sobald die Krise ausgestanden
sei, werde die US-Wirtschaft rasch wieder wachsen, versprach er. Das
von beiden großen Parteien ausgehandelte Konjunkturpaket sollte noch
am Dienstag (Ortszeit) vom Senat verabschiedet werden. Danach muss
das Repräsentantenhaus zustimmen.

Weltweit haben sich nach Angaben von US-Experten schon mehr als
400 000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Das Virus verbreitete
sich zuletzt rasant: Die Zahl der bekannten Infektionen hatte erst am
Samstag die Marke von 300 000 durchbrochen. Mehr als 18 000 Menschen
seien inzwischen an der neuartigen Lungenkrankheit Covid-19
gestorben, erklärten Wissenschaftler der US-Universität Johns Hopkins
am Dienstag.