Gefährliche Zeit: Obdachlose von der Corona-Krise stark getroffen

Etwa 8000 Obdachlose leben in Rheinland-Pfalz, ihre Lage ist ohnehin
schwierig - nun kommt die Corona-Krise hinzu. Experten fordern
dringend mehr Unterstützung für diese Menschen. Was kann helfen?

Mainz (dpa/lrs) - Durch die Corona-Pandemie hat sich die Lage von
Obdachlosen in Rheinland-Pfalz nach Ansicht von Hilfsorganisationen
drastisch zugespitzt. Die Kommunen müssten dringend Pläne zur
Versorgung Wohnungsloser mit Lebensmitteln und zur Unterbringung von
Infizierten erstellen, forderte der Verein «Armut und Gesundheit» in
Mainz. Viele Kommunen hätten die Auszahlung von Tagessätzen an
wohnungslose Hartz-IV-Empfänger eingestellt, sagte der Vorsitzende
Gerhard Trabert. Tafeln und andere Hilfseinrichtungen seien
geschlossen und Wohnheime überfüllt, unterstrich der Sozialmediziner.

Der Buchautor Richard Brox bezeichnete die Coronakrise als
«Katastrophe» für Obdachlose. «Die großen Verlierer der Krise sin
d
bereits klar erkennbar: Es sind die Menschen, die am Rande der
Gesellschaft in Armut leben, die Menschen ohne Bleibe», sagte der
55-Jährige in Ludwigshafen. Brox hatte 30 Jahre lang keinen festen
Wohnsitz. Dann schrieb er ein Buch darüber, es wurde ein Bestseller.
«Kein Dach über dem Leben» verkaufte sich demnach über 40 000 Mal.


Covid-19 bringe Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe an die Grenzen
der Belastbarkeit und reduziere die ohnehin geringen Kapazitäten an
guten Plätzen für Obdachlose, sagte Brox. Nicht nur Hitze und Kälte
seien für nicht sesshafte Menschen eine Lebensbedrohung, sondern auch
das neuartige Coronavirus. «Covid-19 ist für viele Menschen zur
Lebensbedrohung geworden. Doch für Obdachlose ist es altersunabhängig
sogar eine akute Lebensgefahr.» Die wenigsten besäßen einen
Gesichtsschutz oder Hygieneartikel wie Seife, Duschgel und Shampoo.

Viele Nichtsesshafte würden aus Schutz vor möglichen Gewalttaten in
Gruppen leben und keinen Abstand halten. Gerade in dieser Lage sei es
wichtig, Notleidenden und Verarmten zu helfen. «Zeigen Sie Herz und
Mut! Helfen Sie Obdachlosen», appellierte der Autor.

Der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Diakonie, Pfarrer Albrecht Bähr,
sagte, er habe den Eindruck, dass alle in dieser Krise das Mögliche
zu tun versuchten. «Ich werfe niemandem Verantwortungslosigkeit vor.
Aber es stimmt auch, dass Obdachlose wenig Lobby haben», unterstrich
er. Die Diakonie versuche unter anderem, Lebensmittel und
Hygieneartikel zur Verfügung zu stellen. «Ein Riesenproblem ist die
Frage der Übernachtung in diesen kalten Nächten. Im Grunde müsste man

für die Nichtsesshaften eine Jugendherberge öffnen», meinte Bähr.

«Die Arbeit der Einrichtungen und Dienste der Wohnungslosenhilfe ist
gerade jetzt während der Coronakrise von sehr großer Bedeutung für
die Betroffenen», teilte das Gesundheitsministerium in Mainz mit.
Grundsätzlich falle die Unterbringung von Obdachlosen in die
Zuständigkeit der Kommunen.

Dem Ministerium zufolge haben Kommunen und freie Träger der
Wohnungslosenhilfe zum Stichtag 28. September 2018 insgesamt 7931
(2017: 7901) Wohnungslose in Rheinland-Pfalz gemeldet. Die klare
Mehrheit ist demnach in Obdachlosen- oder sonstigen Unterkünften
untergebracht, etwa Wohnheime oder als Unterkunft genutzte Hotels.

Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungsloser waren 2018
rund 678 000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung, ein Anstieg um
vier Prozent. Rund 41 000 Männer und Frauen bundesweit «machen
Platte». Das heißt, sie kampieren etwa unter Brücken oder in Parks.