EU-Staaten noch uneins über ESM-Hilfen in Corona-Wirtschaftskrise

Für Unternehmen und Arbeitnehmer werden beispiellose
Rettungsprogramme gestartet. Auch die EU zieht Hebel, die vor wenigen
Wochen noch undenkbar gewesen wären. Doch das ist noch nicht das
letzte Wort.

Brüssel (dpa) - Im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der
Corona-Krise will die Europäische Union nachlegen und mehr
finanzielle Feuerkraft mobilisieren. Doch einigten sich die
EU-Finanzminister am Dienstagabend noch nicht auf konkrete Maßnahmen.
Vielmehr reichten sie die Entscheidung weiter an die Staats- und
Regierungschefs, die an diesem Donnerstag tagen.

Eurogruppenchef Mario Centeno bekräftigte nach einer Schaltkonferenz
der Finanzminister aller EU-Staaten, dass vorsorgliche Kreditlinien
des Eurorettungsschirms ESM zur Debatte stehen. Es gehe um eine
Größenordnung von zwei Prozent der Wirtschaftskraft des jeweiligen
Mitgliedsstaats. Aber: «Die Diskussion hat erst begonnen, es bleibt
noch Arbeit zu tun.»

ESM-Chef Klaus Regling sagte, solche vorsorgliche Kreditlinien seien
in der Krise ein geeignetes Mittel. Der Eurorettungsschirm hat nach
Reglings Angaben noch 410 Milliarden Euro an Kreditlinien zur
Verfügung. Vorsorgliche Kreditlinien stünden allen Eurostaaten offen,
sie müssten sie aber nicht ziehen, sagte Regling. Würden die Kredite
genutzt, könne das Geld direkt in den Kampf gegen die Gesundheits-
und Wirtschaftskrise gesteckt werden. Die Größenordnung von zwei
Prozent der Wirtschaftsleistung sei «ein substanzieller Betrag».

Erst am Montag hatten die EU-Staaten die europäischen Schulden- und
Defizitregeln vorübergehend außer Kraft gesetzt, um freie Hand für
Hilfsprogramme zu bekommen. Die EU-Kommission hatte zudem
Beihilferegeln gelockert und Milliarden aus dem EU-Budget
mobilisiert. Die Europäische Zentralbank (EZB) kontert die Krise
ihrerseits mit gigantischen Anleihekaufprogrammen.

Für ESM-Kreditlinien sprachen sich auch 13 führende Ökonomen aus.
«Europa braucht eine gemeinsame wirtschaftspolitische Antwort auf die
Corona-Krise», sagte der Präsident des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Mit einer sogenannten Covid
Credit Line würden Risiken für die wirtschaftliche und finanzielle
Stabilität aller EU-Länder effektiv verringert. «Das schafft
Solidarität und begrenzt den wirtschaftlichen Schaden für alle
EU-Mitgliedsländer.» Skeptisch äußerte sich Fratzscher indes über
die
ebenfalls diskutierten Corona-Bonds.

Im Kreis der Eurostaaten sind solche gemeinsam begebenen Anleihen
derzeit nicht konsensfähig. Deutschland und andere Länder lehnen sie
ab. Centeno und EU-Wirtschaftskommissar Polo Gentiloni schlossen
dennoch nicht aus, dass Corona-Bonds später noch einmal in Erwägung
gezogen werden. «Corona-Bonds ist eines der Instrumente auf dem
Tisch», sagte Gentiloni.

Von der EU-Kommission kommt Rückendeckung für weitere Schritte. «Wir

sind bereit, weitere Maßnahmen zu unternehmen und zu unterstützen,
die auf den bereits vollzogenen großen Schritten aufbauen», betonte
Vizepräsident Valdis Dombrovskis. Gentiloni sagte der «Financial
Times»: «Der Konsens wächst täglich, dass wir der außergewöhnli
chen
Krise mit außergewöhnlichen Mitteln begegnen müssen.» Gentiloni
selbst befindet sich in häuslicher Quarantäne, weil einer seiner
Mitarbeiter Covid-19-Symptome gezeigt hatte.