EU will weitere «Feuerkraft» gegen die Corona-Wirtschaftskrise

Für Unternehmen und Arbeitnehmer werden beispiellose
Rettungsprogramme gestartet. Auch die EU zieht Hebel, die vor wenigen
Wochen noch undenkbar gewesen wären. Doch das ist noch nicht das
letzte Wort.

Brüssel (dpa) - Im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der
Corona-Krise will die Europäische Union noch nachlegen. Die
EU-Institutionen prüften Wege, die «Feuerkraft» zu erhöhen, sagte
Eurogruppenchef Mario Centeno am Dienstag vor Beratungen der 27
EU-Staaten. Ziel sei, den Staats- und Regierungschefs für ihren
Videogipfel am Donnerstag Lösungen vorzuschlagen. «Mit gemeinsamen
Maßnahmen kann es gelingen, die wirtschaftlichen Folgen der
Corona-Krise zu minimieren», betonte Bundesfinanzminister Olaf Scholz
auf Twitter zu den Gesprächen mit seinen EU-Kollegen.

In Erwartung eines drastischen Konjunktureinbruchs hatte die EU in
den vergangenen Tagen bereits etliche Hebel in Bewegung gesetzt. «Wir
handeln schnell», sagte Centeno in einer Videobotschaft. «In nur
einer Woche haben wir unsere Fiskalmaßnahmen zur Unterstützung der
Wirtschaft im Euroraum um Umfang etwa verdoppelt.»

Erst am Montag hatten die EU-Staaten die europäischen Schulden- und
Defizitregeln vorübergehend außer Kraft gesetzt, um freie Hand für
Hilfsprogramme zu bekommen. Die EU-Kommission hatte zudem
Beihilferegeln gelockert und Milliarden aus dem EU-Budget
mobilisiert. Die Europäische Zentralbank kontert die Krise ihrerseits
mit gigantischen Anleihekaufprogrammen.

Dennoch beriet die Eurogruppe am Dienstagabend weitere Maßnahmen. Am
wahrscheinlichsten schien, in einem nächsten Schritt den
Eurorettungsschirm ESM in die Krisenhilfen einzubeziehen. Erwogen
wurden sogenannte vorsorgliche Kreditlinien für Eurostaaten. Anders
als etwa die Griechenlandhilfe in der Eurokrise wären diese nicht mit
der Forderung nach Reformprogrammen verbunden, sondern schlicht mit
Bedingungen für die Rückzahlung.

Für diese Option sprachen sich auch 13 führende Ökonomen aus. «Euro
pa
braucht eine gemeinsame wirtschaftspolitische Antwort auf die
Corona-Krise», sagte der Präsident des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Mit einer sogenannten Covid
Credit Line würden Risiken für die wirtschaftliche und finanzielle
Stabilität aller EU-Länder effektiv verringert. «Das schafft
Solidarität und begrenzt den wirtschaftlichen Schaden für alle
EU-Mitgliedsländer.» Skeptisch äußerte sich Fratzscher indes über
die
derzeit diskutierten Corona-Bonds.

Im Kreis der Eurostaaten sind solche gemeinsam begebenen Anleihen
nicht konsensfähig. Auch Deutschland lehnt sie ab. «Dazu wäre eine
dramatisch andere Aufstellung der Europäischen Union nötig», hieß e
s
aus Kreisen der Eurogruppe. «Ich würde in absehbarer Zeit nicht auf
Eurobonds zählen.» Falls sich die Krise in den nächsten Monaten
weiter zuspitze, wäre indes eine Aufstockung des ESM denkbar, hieß
es. Der Eurorettungsschirm hat derzeit nach Angaben seines Chefs
Klaus Regling noch 410 Milliarden Euro an Kreditlinien zur Verfügung.
Um wie viel die «Feuerkraft» erhöht werden könnte, ist offen.

Von der EU-Kommission kommt Rückendeckung für weitere Schritte. «Wir

sind bereit, weitere Maßnahmen zu unternehmen und zu unterstützen,
die auf den bereits vollzogenen großen Schritten aufbauen», erklärte

Vizepräsident Valdis Dombrovskis. EU-Wirtschaftskommissar Paolo
Gentiloni sagte der «Financial Times»: «Der Konsens wächst täglic
h,
dass wir der außergewöhnlichen Krise mit außergewöhnlichen Mitteln

begegnen müssen.» Gentiloni selbst befindet sich derzeit in
häuslicher Quarantäne, weil einer seiner Mitarbeiter
Covid-19-Symptome gezeigt hatte.