Bundestag will historisches Corona-Hilfspaket beschließen

Nach der Regierung wollen Bundestag und Bundesrat bis Ende der Woche
im Schnellverfahren Finanzhilfen in der Corona-Krise beschließen. Das
Virus bestimmt im Parlament auch die Abläufe.

Berlin (dpa) - Unter bisher einmaligen Gesundheitsvorkehrungen will
der Bundestag das historische Hilfspaket für Bürger und Unternehmen
in der Corona-Krise beschließen. Vor der Plenarsitzung an diesem
Mittwoch zeichnete sich für das von der schwarz-roten Koalition
geplante Aussetzen der im Grundgesetz vorgeschriebenen Schuldenbremse
eine Mehrheit ab. Nachdem die Koalitionsfraktionen von Union und
SPD die dafür nötige Kanzlermehrheit wegen der Auswirkungen des Virus

voraussichtlich klar verfehlen werden, empfahlen die Fraktionsspitzen
von Grünen und FDP ihren Abgeordneten Zustimmung.

Der Bundestag will im Schnellverfahren mehrere Gesetze verabschieden,
mit denen die finanziellen Folgen der Corona-Pandemie abgemildert
werden sollen. Die Parlamentarier sollen zudem eine Notlage in
Deutschland durch die Corona-Pandemie feststellen. Der Bund würde
damit verstärkte Befugnisse beim Infektionsschutz erhalten. Eltern
sollen Geld bekommen, wenn sie durch Verdienstausfall wegen Kita-
oder Schulschließungen zu Hause bleiben müssen.

Durch das Gesetz von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) soll die
Bundesregierung mehr Eingriffsmöglichkeiten im ganzen Land erhalten.
Es soll direkt angewendet werden können. «Aufgrund der durch das
neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 verursachten Epidemie stellt der
Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest», heißt
es in dem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Entwurf.

Bei der zwischen 14.00 und 15.00 Uhr geplanten namentlichen
Abstimmung über die Lockerung der Schuldenbremse werden
voraussichtlich mehrere Dutzend Unionsabgeordnete fehlen. Bei der
SPD haben sich etwas weniger als 30 Parlamentarier entschuldigt. Für
den Beschluss ist die sogenannte Kanzlermehrheit notwendig. Das sind
355 der insgesamt 709 Parlamentarier. Bei Union und SPD zusammen
dürften höchstens 43 Abgeordnete fehlen, damit die Kanzlermehrheit
aus eigener Kraft erreicht wird.

Bei manchen Abgeordneten war klar, dass sie nicht kommen würden, weil
sie positiv auf das Coronavirus getestet wurden, vorsorglich in
Quarantäne waren oder zu Risikogruppen gehörten.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael
Grosse-Brömer (CDU), sagte der dpa in Berlin: «Wenn Mitglieder der
Unionsfraktion fehlen, hat das keine politischen, sondern
gesundheitliche Gründe.» Er sei sehr zuversichtlich, dass das
Parlament für das zeitlich befristete Aussetzen der Schuldenbremse
die Kanzlermehrheit erreichen werde. «Es ist gut, dass unter so
extremen Umständen, wie sie zur Zeit herrschen, sich auch die
Opposition ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst ist.»

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco
Buschmann, sagte: «Das Grundgesetz sagt ausdrücklich, dass in
Notlagen, in Ausnahmesituationen dieses Abweichen möglich sein soll.»
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt betonte: «Für uns steh
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fest, dass außergewöhnliche Zeiten auch außergewöhnliche Maßnahme
n
rechtfertigen. Deshalb werden wir der Schuldenbremsen-Aufhebung
zustimmen.» Buschmann und Göring-Eckardt lobten, dass die Koalition
auf Forderungen der Opposition eingegangen sei.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) hob die Zusammenarbeit mit
der Opposition positiv hervor. «Das, was wir bisher besprochen haben,
das ist unglaublich konstruktiv gewesen. Es ist getragen gewesen von
dem Willen, eine Lösung für das Land hinzubekommen», sagte er nach
einer Telefonkonferenz der Unionsfraktionsspitze. Zugleich betonte
er, das aktuelle Hilfspaket für Bürger, Wirtschaft und Krankenhäuser

werde «sicherlich nicht das letzte sein».

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich rechnet ebenfalls damit, dass der
Bund nachlegen muss. Die Regierung habe ein großes Paket geschnürt,
das «in einem ersten Schritt» auch unbedingt nötig sei, um die
wirtschaftliche und soziale Situation der Bürger zu sichern, sagte er
vor einer Fraktionssitzung. Er sei aber überzeugt, «dass wir in den
nächsten Wochen noch nacharbeiten müssen». Nach der
gesundheitspolitischen Herausforderung warteten noch große Aufgaben
für den sozialen Bereich und das Gemeinwesen.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) appellierte an alle
Abgeordneten, die Schutzmaßnahmen strikt zu befolgen. «So sollten Sie

sorgfältig prüfen, wann Ihre Anwesenheit im Plenarsaal tatsächlich
erforderlich ist», heißt es in einem Schreiben, das der dpa vorlag.

Das Schreiben enthält detaillierte Regelungen für das Betreten des
Plenarsaals, für das Abstandhalten und für Abstimmungen, bei denen
eine «Pulkbildung» vermieden werden soll. Um bei der namentlichen
Abstimmung zur Schuldenbremse genug Abstand halten zu können, stehen
die Wahlurnen in der Lobby außerhalb des Plenarsaals, weil dort mehr
Platz ist. Viele Parlamentarier wollen die Debatte in ihren Büros am
Fernseher verfolgen und erst zu den Abstimmungen im Saal erscheinen.

AfD-Abgeordnete versammelten sich am Dienstag in ihrem Fraktionssaal,
um über mehrere Änderungsanträge zu beraten. Trotz der bundesweiten
Kontaktverbot-Regelungen traf sich mehr als die Hälfte der 89
Fraktionsmitglieder in dem Saal. Zwischen ihnen blieb allerdings
jeweils mindestens ein Stuhl frei. Die SPD-Fraktion hielt ihre
Sitzung in verschiedenen Räumen ab. Andere Fraktionen verzichteten
auf ein Treffen und berieten per Telefon- oder Videokonferenz.

Der Bundesrat kommt in der Corona-Krise an diesem Mittwoch und
Freitag zu Sondersitzungen zusammen. Wie die Länderkammer mitteilte,
geht es am Mittwoch um den geplanten Nachtragshaushalt des Bundes.
Der Bundesrat kann dazu Stellung nehmen, bevor der Bundestag den
Nachtrag voraussichtlich am gleichen Tag in erster, zweiter und
dritter Lesung verabschiedet. Am Freitag beraten die Länder dann die
Gesetzespakete der Bundesregierung, mit denen die wirtschaftlichen
und sozialen Folgen der Krise abgefedert werden sollen.