Ungarn: Orban will mit Sondervollmachten gegen Pandemie vorgehen

Der Kampf gegen das Coronavirus zwingt Regierungen weltweit zu
außerordentlichen Maßnahmen. Viktor Orban will sich dafür einen
Blanko-Scheck ausstellen lassen. Viele in Ungarn fürchten eine Art
Notstands-Diktatur.

Budapest (dpa) - Vor dem Hintergrund der globalen Corona-Pandemie
will sich Ungarns machtbewusster Ministerpräsident Viktor Orban durch
ein beispielloses Gesetz umfassende Vollmachten geben lassen. Das
ungarische Parlament debattierte am Dienstag einen Gesetzentwurf, der
es Orban ermöglichen würde, für unbegrenzte Zeit und ohne
parlamentarische Kontrolle auf dem Verordnungsweg zu regieren.

Das Gesetz soll dafür sorgen, «dass die Regierung alle zur Eindämmung

beziehungsweise Abwehr der Folgen der Covid-19-Pandemie nötigen
außerordentlichen Maßnahmen treffen kann», heißt es in der Einleitu
ng
des Entwurfs. Dabei, so die Vorlage, könne sie «die Anwendung
einzelner Gesetze suspendieren, von gesetzlichen Bestimmungen
abweichen und sonstige außerordentliche Maßnahmen treffen».

Die Dauer dieser Vollmachten ist nicht konkret begrenzt - sie bemisst
sich daran, wie lange die Regierung den Pandemie-Notstand als gegeben
ansieht. Die Regierung ist auch nicht auf das Parlament angewiesen,
das aufgrund der Pandemie am Zusammentreten gehindert sein könnte.
Kriterien dafür, wann das Parlament als verhindert anzusehen ist,
enthält der Gesetzentwurf nicht. 

Das Gesetz wird voraussichtlich Anfang nächster Woche beschlossen.
Orbans Regierungspartei Fidesz verfügt im Parlament über die dafür
nötige Zweidrittelmehrheit. In der Debatte am Dienstag kritisierten
Abgeordnete der Opposition vor allem, dass es keine Garantien und
Fristen gebe. Fidesz-Abgeordnete betonten, dass die Regierung die
Vollmachten brauche, um das Land sicher durch die Pandemie-Krise zu
steuern.

Weitere Bestimmungen des geplanten Gesetzes beinhalten, dass während
des Pandemie-Notstands keine Wahlen und Referenden stattfinden
dürfen. Außerdem werden die Strafen für Verstöße gegen
Quarantänebestimmungen sowie für die Verbreitung von
Falschnachrichten massiv verschärft. 

Vor allem letztere Regelung ist Kritikern zufolge bewusst schwammig
formuliert. So kann jemand, der eine wahre Tatsache auf eine Weise
wiedergibt, die dazu angetan ist, «größere Gruppen von Menschen zu
beunruhigen», mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden.

Journalisten könnten da schnell unter Druck geraten. Erfährt etwa ein
Reporter von Ärzten, dass es in den Krankenhäusern nicht genügend
Schutzausrüstungen gibt, und schreibt er das wahrheitsgemäß in seinem

Bericht, könnte er sich womöglich eine  Gefängnisstrafe einhandeln.

Denn ein solcher Bericht könnte tatsächlich viele Menschen
beunruhigen. In den regierungsnahen Medien werden immer wieder
Forderungen nach Verhaftung von Journalisten erhoben, die die
Maßnahmen der Regierung im Kampf gegen die Pandemie beanstanden. 

Ein Gesetz, das der Regierung keine zeitlichen Einschränkungen
auferlegt und ihr einen Freibrief für jedes Handeln ausstellt, ist
tatsächlich in ganz Europa beispiellos. Hinzu kommt Orbans Neigung,
auch in normalen Zeiten gerne autoritär durchzuregieren. In den zehn
Jahren seiner Herrschaft ließ er unabhängige Medien unterdrücken,
schränkte er die Unabhängigkeit der Justiz ein, ließ
Zivilorganisationen gesetzlich diskriminieren und trieb eine
US-geführte, liberale Universität aus dem Land.

In der EU läuft wegen der mutmaßlichen Einschränkung von Bürger- un
d
Grundrechten ein Grundwerteverfahren gegen Ungarn, das theoretisch
zum Entzug der Stimmrechte in der Union führen kann. «Die letzten
zehn Jahre haben eindeutig erwiesen, dass die ungarische Regierung 
jede Situation, in der sie Kontrollinstanzen zu schwächen vermag,
missbraucht», schrieb der Budapester Think-tank Political Capital.
Jetzt befürchten viele in Ungarn, dass sich Orban zu einer Art
Notstands-Diktator aufschwingen könnte.