Experten warnen vor akuten Engpässen bei heimischer Pflege

Die meisten Pflegebedürftigen werden zu Hause betreut - doch was
heißt das in Zeiten des Coronavirus? Fachleute warnen vor massiven
Problemen - nicht nur mit Blick auf die Pflegekräfte aus Osteuropa.

Berlin (dpa) - Wegen der Corona-Krise drohen bei der Pflege und
Versorgung älterer Menschen daheim aus Expertensicht akute Engpässe.
Der Verband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) warnte am
Dienstag, dass nach Ostern bis zu 200 000 Betreuungskräfte aus
Osteuropa fehlen könnten. Noch dramatischer ist die Lage aus Sicht
der Stiftung Patientenschutz: «Die Betreuer fehlen schon jetzt, die
Krise ist längst da», sagte Vorstand Eugen Brysch der Deutschen
Presse-Agentur. Der Sozialverband VdK forderte Hilfe für berufstätige
Angehörige, wenn sie für professionelle Betreuer einspringen.

«Wo sollen all die pflegebedürftigen Menschen bleiben, die derzeit zu
Hause leben, wenn Betreuungshilfe wegbleibt? Die Alten- und
Pflegeheime sind voll», sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele. Sie
schlug vor, Kurzarbeit-Regelungen auf Angehörige auszudehnen. Dann
könnten Berufstätige zeitweise aus dem Job aussteigen und wären
abgesichert. Pflegebedürftige blieben in den eigenen vier Wänden.

VHBP-Geschäftsführer Frederic Seebohm äußerte die Sorge, dass Pfleg
er
aus Osteuropa früher als geplant in ihre Heimat zurückreisen und kein
Ersatz mehr kommt. «Das hängt mit der Angst vor dem Virus, Angst um
die eigenen Familien und auch der Situation an den Grenzen zusammen.»
Dort gibt es zum Teil lange Wartezeiten.

Patientenschützer Brysch sagte, Hunderttausende Pflegekräfte vor
allem aus Polen hätten Deutschland angesichts der Pandemie bereits
verlassen, weitere etwa aus der Ukraine und dem Baltikum säßen auf
gepackten Koffern. Er berichtete von weinenden Angehörigen am
Patiententelefon, die nicht mehr weiter wüssten. «Alle gucken auf die
Kinderbetreuung, da haben wir einen gesellschaftlichen Blick - aber
ein Blick in Richtung der alten Menschen existiert überhaupt nicht.»
Brysch forderte kommunale Krisenstäbe, um verzweifelten Angehörigen
in dieser Situation beizustehen und Abhilfe zu schaffen.

Von etwa 300 000 täglich in Deutschland arbeitenden Betreuern - laut
der Stiftung Patientenschutz sind die Zahlen noch weit höher - seien
zudem nur zehn Prozent mit ordentlichen Papieren im Land, schätzt der
VHBP. Der Rest arbeite illegal. Seebohm sprach von einem «Tabuthema».
Problem sei zudem, dass Reisen mit Kleinbussen weiterhin erlaubt
seien. «Das ist eine Virenschleuder, wie man sie sich besser nicht
vorstellen könnte.»

Der VdK forderte auch Unterstützung für pflegende Angehörige, die
fürchten müssten, ihre Eltern oder Großeltern anzustecken. Viele
seien verunsichert, sagte Bentele. «Wie sollen sie ihre Angehörigen
weiter gut versorgen, einkaufen, ihnen nahe sein? Wegen der
Infektionsgefahr dürften sie das Haus eigentlich nicht verlassen.»
Ein erster wichtiger Schritt wäre, die außerhäusliche Versorgung
sicherzustellen - zumindest mit Lebensmitteln, Medikamenten,
Schutzkleidung und anderen Produkten des täglichen Bedarfs. Hierfür
sollten Mittel des Entlastungsbetrages bereitgestellt werden. Dies
sind monatlich 125 Euro. Patientenschützer kritisieren, dass viele
der 2,6 Millionen zu Hause versorgten Menschen diesen nicht abrufen.