Ausbau der stationären Versorgung: Geschlossene Kliniken nur Notnagel

Das Land Hessen schafft Platz in Kliniken für Corona-Patienten. Auch
geschlossene Krankenhäuser stehen bereit. Tatsächlich ist eine
Wiederinbetriebnahme momentan aber unwahrscheinlich.

Wetzlar/Wiesbaden/Kassel (dpa/lhe) - Die Reaktivierung geschlossener
Krankenhäuser würde nach Einschätzung des Klinikverbunds Hessen kaum

neue Kapazitäten für Corona-Patienten schaffen. Denn man brauche
nicht nur Räume, sondern vor allem medizinisches Gerät und Personal,
sagte Geschäftsführer Reinhard Schaffert am Dienstag: «Das wird das
Hauptproblem sein.» Wenn man allerdings irgendwann vor der Frage
stehe, ob man Kranke in einer Turnhalle oder ehemaligen Klinik
unterbringe, «dann ist die ehemalige Klinik sicher besser geeignet».
An einem solchen Punkt sei man aber nicht.

Das Land Hessen hatte am Montag einen Ausbau der stationären
Versorgung angesichts der bevorstehenden Herausforderungen durch die
Krankheit Covid-19 angekündigt. Zuletzt gab es laut
Krankenhausgesellschaft 1815 Intensivbetten, die standardmäßig mit
Beatmungsmaschinen ausgerüstet sind. Hinzu kommen etwa 1400
Beatmungsgeräte in anderen Krankenhausbereichen.

Die Zahl der Covid-19-Infektionen lag in Hessen nach Zahlen des
Sozialministeriums (Stand 14.00 Uhr) bei 1617 bestätigten Fällen,
darunter fünf Todesfälle. Behörden gehen davon aus, dass die Zahlen
weiter steigen: «In den kommenden Wochen und Monaten wird die
medizinische Versorgung auch in Hessen sehr stark beansprucht», hatte
Sozialminister Klose (Grüne) erklärt.

Deshalb ist Hessen in sechs Gebiete aufgeteilt, in denen jeweils ein
Krankenhaus die Versorgung koordiniert: Klinikum Kassel, Klinikum
Fulda, Universitätsklinikum Gießen-Marburg, Universitätsklinikum
Frankfurt, Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken
Wiesbaden und Klinikum Darmstadt.

Zusammen mit diesen Krankenhäusern entwickele nun ein Planungsstab
eine funktionierende Versorgungsstruktur für die bestehende
Sonderlage, sagte Alice Engel, Sprecherin des Sozialministeriums:
«Inwieweit einzelne Krankenhäuser eingebunden werden, steht noch
nicht fest.»

Nach zahlreichen Klinikschließungen der vergangenen Jahre wären auch
leerstehende Krankenhäuser eine Option. Im Landkreis Kassel
beispielsweise wurde die Kreisklinik Wolfhagen Ende Februar wegen
Brandschutzmängeln geschlossen. Eine Reaktivierung hält Kreissprecher
Harald Kühlborn für machbar und sinnvoll. «Bevor man Turnhallen und
Stadthallen nimmt, sollte man die Gebäude nehmen, die schon mal als
Krankenhäuser genutzt worden sind und leicht wieder herstellbar
sind», sagt er. Konkrete Schritte gebe es aber noch nicht. Welche
Häuser genutzt würden, entscheide der Bedarf und ein mehrstufiges
Verfahren.

Auch in Lindenfels im Kreis Bergstraße gibt es eine leere Klinik. Das
Luisenkrankenhaus wurde 2016 geschlossen, das Gebäude sei heute im
Besitz einer Investmentgesellschaft, erklärt Bürgermeister Michael
Helbig (SPD): «Die ist an uns herangetreten und hat gesagt, sie würde
die Klinik als Notkrankenhaus zur Verfügung stellen.» Hoffnungen auf
eine dauerhafte Inbetriebnahme wie manche Bürger macht sich Helbig
aber nicht: «Wenn ein Notkrankenhaus kommt und wieder verschwindet -
das hilft uns nicht.»

Der Geschäftsführer der Hessischen Krankenhausgesellschaft, Steffen
Gramminger, sieht in Reaktivierungen ebenfalls eher eine Alternative
für den Notfall: «Wir sollten uns aber zunächst darauf konzentrieren,

laufende Gesundheitseinrichtung zu stärken und diese dann voll zu
nutzen.» Dazu zählten Vorsorge- und Rehakliniken, Privatkliniken und
Fachkliniken. «Mit Sicherheit spielen auch kleine Fachkliniken eine
große Rolle», sagt er. Je nach Phase der Pandemie und Anzahl der
Patienten sowie dem Anteil der im Krankenhaus Behandlungsbedürftigen
werde ein Stufenplan erarbeitet.

Unterdessen bereiten sich die Krankenhäuser auf die Versorgung einer
großen Zahl an Covid-19-Patienten vor. Das Uniklinikum Frankfurt
(KGU) will nach eigenen Angaben noch in dieser Woche eine
organisatorisch eigenständige Klinik einrichten. In ihr sollen mit
dem Coronavirus infizierte Menschen räumlich getrennt von den übrigen

Patienten behandelt werden. «Es handelt sich um eine in der
Geschichte unseres Hauses einmalige Umstrukturierung», sagte der
Ärztliche Direktor des KGU, Professor Jürgen Graf.

Das Klinikum Darmstadt untersucht bereits alle neuen Patienten vor
dem Betreten des Gebäudes. Covid-19-Verdachtsfälle werden zunächst
in
ein zusätzlich in Betrieb genommenes Zelt gebracht. Menschen ohne
spezifische Symptomen wie Husten, Fieber oder Halsschmerzen dürfen
die Klinik über einen Hintereingang betreten. Damit solle der Kontakt
zwischen Infizierten und Nicht-Infizierten verringert werden, wie das
Krankenhaus mitteilte.

Laut dem Kasseler Klinikkonzern Gesundheit Nordhessen Holding (GNH)
muss für die erwartete Dauer der Pandemie auch die Betreuungen der
Patienten gewährleistet sein, die nicht an der Lungenkrankheit
Covid-19 leiden. «Aus diesen Gründen sehen die Planungen vor, dass
die Krankenhäuser bestimmte Schwerpunkte zugewiesen bekommen, die
sich je nach Eskalationsstufe in der Pandemie verschieben können»,
teilte die GNH mit.