Rote Karte für Coronavirus - Weißrusslands Fußball rollt und rollt Von Ulf Mauder, dpa

Der Weltfußball ruht, kein Club in Europa spielt noch. Aber
Weißrusslands Fußball tut so, als gäbe es keine Corona-Pandemie. In
Belarus geht das Leben weiter wie bisher. Das liegt vor allem an
einem Mann. Dabei mehren sich kritische Stimmen.

Minsk (dpa) - Der Fußball in Weißrussland zeigt dem Coronavirus die
Rote Karte. Planmäßig und mit Zuschauern auf den Stadiontribünen
haben die Clubs des kleinen Landes zwischen EU-Mitglied Polen und
Russland den Spielbetrieb für die Meisterschaft aufgenommen. Der
belarussische Fußballvereinigung ABFF zeigte sich unbeeindruckt
davon, dass in Europa sonst niemand mehr spielt. «Eine Oase in der
toten Fußballwüste» - so sahen es Fußballkommentatoren im Fernsehen
.
Auch im benachbarten Russland etwa, wo Stillstand vorerst bis 10.
April herrscht, fanden sich plötzlich Fans wie in vielen Ländern für

die sonst kaum beachtete Liga.

81 Fälle der Lungenkrankheit Covid-19 waren in Weißrussland Anfang
der Woche bekannt. Tendenz - wie fast überall - steigend. Doch der
als «letzter Diktator Europas» kritisierte Präsident Alexander
Lukaschenko sieht keinen Grund für «drakonische Maßnahmen». Der
65-Jährige gab früh die Devise aus, dass die Corona-Panik am Ende
schlimmer sein könne als das Virus selbst.

«Ich nenne dieses Coronavirus nicht anders als eine Psychose und
lasse mich auch nicht davon abbringen», sagte Lukaschenko. «Die
zivilisierte Welt ist verrückt geworden, und die Politiker haben
schon damit angefangen, die Situation für ihre Interessen
auszunutzen.» Es sei eine «absolute Dummheit», etwa Grenzen zu
schließen.

Hunderte Fans kamen jeweils zu den Spielen - teils mit Mundschutz.
Die Stimmung schwankte zwischen Freude und eiserner Clubtreue bis hin
zu Unsicherheit, wie die Boulevardzeitung «Komsomolskaja Prawda» in
einer Reportage zum Fußball in den Zeiten von Corona unter dem Titel
«Besser im Stadion, als in der Bar» berichtete.

Die von einem früheren Soldaten geführte Fußballvereinigung ABFF
versicherte zwar, die Lage genau zu beobachten. Dass sie aber am Ende
gegen Staatschef Lukaschenko entscheidet, gilt in dem autoritär
geführten Land als ausgeschlossen. Alle Mitglieder im Weltverband der
Fußball-Profiligen (World Leagues Forum) - Belarus gehört nicht dazu
- haben die Spiele ausgesetzt.

Doch die Kritik nimmt zu. «Die belarussische Meisterschaft mit
Zuschauern - das ist einfach Wahnwitz», sagte Sergej Alejnikow,
Ex-Profi von Juventus Turin. Er wirft den Funktionären Leichtsinn
vor. Berichte etwa über isolierte Sportler der
Eishockey-Nationalmannschaft wegen Verdachts auf das Virus Sars-CoV-2
dementierte das Sportministerium des autoritären Landes prompt.

«Es ist, als wenn sich niemand darum kümmert», wird der frühere
Bundesliga-Fußballer Alexander Hleb von der britischen
Boulevardzeitung «Sun» zitiert. «Jeder weiß, was in Spanien und
Italien passiert. Das sieht nicht gut aus.» Der 39-jährige Ex-Profi
hatte in der Bundesliga für den VfB Stuttgart gespielt. Er bleibe mit
seiner Familie zu Hause, sagte er. Aber wenn er «raus gehe, sind die
Straßen und Restaurants immer noch voll».

Andere Ex-Sowjetrepubliken haben längst, teils mit weniger
Coronavirus-Fällen, den Ausnahmezustand verhängt. Der weißrussische
Sportkommentator Konstantin Genitsch meinte, dass er sich wie Juri
Gagarin - der erste Mensch im Weltall - fühle, dass er in dieser Lage
noch am Ball sei. Erst wenn die UEFA ein Machtwort spreche, werde das
wohl aufhören. «Ich glaube, dass sich Belarus dem fügen würde. Ich

wäre erstaunt, wenn sie dann noch weiter kicken.»

Vorerst aber sind Einschränkungen des öffentlichen Lebens wie etwa in
der russischen Hauptstadt Moskau mit geschlossenen Stadien,
Schwimmbädern und Fitnessclubs nicht in Sicht. Aber selbst die
orthodoxe Kirche in Belarus nahm inzwischen die Ängste vor einem
möglichen großflächigen Ausbruch der Lungenkrankheit ernst.

Der Minsker Erzbischof Pawel erhob sich nach dem Sonntagsgebet im
Hubschrauber über die belarussische Hauptstadt, um in der Hand
Weihwasser zum Schutz vor dem Coronavirus zu verteilen. Auf Linie der
Staatsführung blieb er dennoch: «Die Panik, die durch die Ausbreitung
des Coronavirus entsteht, benebelt den Verstand.» Gott werde das Land
vor der tödlichen Epidemie schützen.