Keine Chance auf Homeoffice - Von denen, die alles am Laufen halten Von Larissa Schwedes, dpa

Wer kann, der bleibt daheim, das gilt auch für Berufstätige. Trotz
Kinder-Chaos und Lagerkoller ist es in diesen Zeiten zum Privileg
geworden, von zuhause aus sein Geld zu verdienen. Aber wie geht es
den anderen?

Köln (dpa) - Michael Fellendorf steht hinter dem leuchtenden
Lotto-Toto-Schild und nimmt einen Tippschein an. «Gewettet wird
immer, das war schon im Krieg so.» Seine Frau Monika und er stehen
noch immer jeden Morgen auf, um den gemeinsamen Kiosk zu öffnen.
Verrückt fühle sich das schon an in diesen Zeiten, erzählt die
Besitzerin des kleinen Ladens in Köln-Ehrenfeld. Zettel auf der Theke
fordern Kunden auf, Abstand zu halten. «Ich knutsche keinen, ich
nehme keinen mehr in den Arm.» Die gemeinsamen Enkel hat das ältere
Paar schon seit Wochen nicht mehr getroffen, dafür kommen jeden Tag
viele andere. «Wenn ich's kriege, krieg ich's. Ich kann es ja nicht
ändern.»

Verkäuferinnen, Handwerker, Bahn- und Busfahrer, Polizistinnen,
Lieferanten und die gesamte Gesundheitssektor-Belegschaft - sie sind
jene, für die Homeoffice nicht zur Debatte steht. Es ist Teil ihres
Jobs, in Kontakt mit Menschen zu sein. Dadurch sind sie einem
besonderen Risiko ausgesetzt.

«Mich erwischt es auf jeden Fall. Ich habe keine Chance», meint
deshalb Selami Toktas, der an der in normalen Zeiten pulsierenden
Venloer Straße in Köln ein Lebensmittelgeschäft betreibt. Er lächel
t
und zeigt auf die aktuell gut gefüllten Regale. «Aber ich habe keine
Wahl.» Wie fühlt es sich an, jetzt noch jedem Tag Dutzenden von
Menschen begegnen zu müssen? «Ich habe keine Angst», sagt Toktas.
«Wenn man über die Straße geht und nicht aufpasst, kommt ein Auto und

man ist auch weg. Man muss immer vorsichtig sein.»

Auch Adriana Kurth, die von einem Marktstand aus Obst und Gemüse
verkauft, bleibt tapfer. «Mir ist es ein bisschen komisch, wenn Leute
husten. Aber: Was passiert, passiert.» Kurth weiß von gedankenlosen
Kunden zu berichten, aber auch von dankbaren, eine Seniorin hat ihr
eine Tafel Schokolade mitgebracht. Eine willkommene Freude in der
Spätschicht, während der die Verkäuferin oft an ihre elfjährige
Tochter zuhause denken muss. Seit die Schulen geschlossen sind, ist
diese nun lange Tage allein zuhause. «Die hat sogar schon angefangen,
freiwillig zu putzen, so langweilig ist ihr.»

Thorsten Wenke, der als Maler auf einer Baustelle um die Ecke
arbeitet, hält es für problematisch, dass so viele Betriebe noch
normal weiterarbeiten und damit Millionen Menschen trotz allem zur
Arbeit müssen. «Ich denke, bei der Arbeit werden die meisten
angesteckt - und nicht abends im Park.»

Während Baustellen oder Renovierungsarbeiten zu jenen Bereichen
gehören, die im Zuge weiterer Einschränkungen des öffentlichen Lebens

noch lahmgelegt werden könnten, steht es für andere Branchen außer
Frage, dass das Arbeitsleben draußen weitergeht. Viele von ihnen sind
sogar jetzt besonders gefragt, um das Leben am Laufen zu halten.

«Ich verkaufe das Dreifache», erzählt Adriana Kurth vom Marktstand.
Ärzte und Pflegende in den Kliniken müssen sich nicht nur um
Patienten kümmern, sondern auch darauf vorbereiten, dass der
Höhepunkt der Krise noch lange nicht erreicht ist. «Wir bleiben für
euch hier. Bleibt ihr für uns daheim», appellieren Mediziner der
Uniklinik Köln und vieler anderer Häuser auf Gruppenfotos, die sich
in den sozialen Netzwerken verbreiten.

Paketbote Seref Özel kann sich kaum vor Päckchen retten: Er erzählt
von Kunden im fünften Stock, die nun viel Zeit zuhause verbringen und
sie für Online-Shopping nutzen - und die Klamotten dann schon am
nächsten Tag wieder zurückschicken. Sollte sich die Lage weiter
zuspitzen, rechnet Özel fest damit, dass Medizintechnik oder
Lebensmittel vorrangig behandelt werden, denn: «Was wir nicht
schaffen, schaffen wir nicht.» Özel lässt sich seinen Optimismus
trotz allem vorerst nicht nehmen: «Das einzig Gute ist: 99 Prozent
der Menschen sind jetzt zuhause.»