Coronavirus: Großbritannien erlässt allgemeine Ausgangsbeschränkungen

Nach langem Zögern schwenkt Premierminister Johnson auf den Kurs
europäischer Nachbarn ein und schränkt das öffentliche Leben in
Großbritannien drastisch ein. Kritiker fürchten, das Land könnte von

der Pandemie noch härter getroffen werden als Italien.

London (dpa) - Die britische Regierung hat im Kampf gegen das
Coronavirus weitreichende Ausgangsbeschränkungen beschlossen. Das
verkündete Premierminister Boris Johnson am Montagabend in einer im
Fernsehen übertragenen Rede an die Nation.

Johnson wies seine Landsleute an, das Haus nur noch so wenig wie
möglich zu verlassen. «Von heute Abend an muss ich dem britischen
Volk eine einfache Anordnung geben: Sie müssen zuhause bleiben»,
sagte Johnson. Alle Läden, die nicht zur Grundversorgung dienen,
werden mit sofortiger Wirkung geschlossen. Sportliche Aktivitäten
sind nur noch einmal am Tag und nur gemeinsam mit Mitgliedern
desselben Haushalts erlaubt. Ansonsten dürfe das Haus nur noch für
den Einkauf wesentlicher Dinge wie Lebensmittel und Medikamente und
für den Weg zur Arbeit verlassen werden, sagte Johnson.

Versammlungen von mehr als zwei Personen seien nicht mehr erlaubt und
würden von der Polizei aufgelöst. «Wir werden alle gesellschaftlichen

Ereignisse stoppen, einschließlich Hochzeiten, Taufen und andere
Zeremonien, ausgenommen Beerdigungen», sagte der Premier.

Am Wochenende hatten unzählige Briten das schöne Wetter für Ausflüg
e
in städtische Parks und Erholungsgebiete genutzt - zu viele, um den
notwendigen Abstand einhalten zu können. Das BBC-Fernsehen zeigte
noch am Montag Bilder von überfüllten U-Bahnen in London.

Die Zahl der Toten durch die vom Coronavirus hervorgerufene
Lungenkrankheit Covid-19 in Großbritannien stieg am Montag
unterdessen auf 335. Kritiker der Regierung fordern seit langem
schärfere Maßnahmen, um den Ausbruch einzudämmen. Sie fürchten,
Großbritannien könnte noch härter getroffen werden als Italien,
sollte der chronisch unterfinanzierte Nationale Gesundheitsdienst NHS
unter der Last der Epidemie zusammenbrechen.

Die Regierung hatte sich zunächst gegen härtere Maßnahmen gesträubt
.
Zum einen wollte sie verhindern, dass der Ausbruch zu stark
unterdrückt wird und im Herbst mit voller Wucht zurückkehrt. Zum
anderen hoffte sie darauf, mit einer raschen Durchseuchung eine
sogenannte Herdenimmunität zu erreichen. Von diesem Ansatz
distanzierte sich die Regierung aber inzwischen und korrigierte ihren
Kurs. Aufgeschreckt wurde sie von einer Studie des Imperial College
in London. Die Forscher hatten ausgerechnet, dass die ursprüngliche
Strategie der Regierung bis August 250 000 Menschen das Leben kosten
könnte.

Der ehemalige NHS-Direktor für Nordwest-England, John Ashton, warf
der Regierung vor, sieben Wochen zu spät gehandelt zu haben. Der
Gesundheitsdienst werde nicht in der Lage sein, mit der Situation
zurechtzukommen, warnte er in einem BBC-Interview. «Viele Menschen
werden zuhause versorgt werden müssen und viele Menschen werden
zuhause sterben», sagte Ashton.