Nur bedingt Corona-krisenfähig? Wie die Union mit sich ringt Von Marco Hadem, Bettina Grönewald und Jörg Blank, dpa

In der Telefonkonferenz zur Corona-Krise lagen am Sonntag bei manchen
Teilnehmern die Nerven blank. Der Ablauf und die Nachlese bringen ein
Thema ans Tageslicht, das zwischenzeitlich vergessen schien.

München/Düsseldorf/Berlin (dpa) - Der Krach in der Krisenschalte von
Bund und Ländern zur Corona-Pandemie hat nicht nur Nerven gekostet.
Der Zoff am Sonntagnachmittag hat auch die Frage aufgeworfen, wie es
um die Führungsfähigkeit mancher Unionsspitzen in schwieriger Lage
bestellt ist. Denn gleich zu Beginn der «lebhaften Diskussion» - wie
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) es später nannte - hatte Bayerns
Regierungschef Markus Söder (CSU) am Sonntag damit gedroht, die
Konferenz zu verlassen. So nebensächlich das im Kampf gegen das Virus
ist, dürfte der Konflikt dennoch politisch nachhallen. Worum es geht:

Was ist in der Schalte tatsächlich geschehen?

Darüber gibt es verschiedene Aussagen. Die einen sagen, Krach habe es
zwischen CSU-Chef Söder und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU)
gegeben, nachdem der CDU-Vize den Bayern für dessen nicht mit anderen
Ländern abgestimmtes Krisenmanagement kritisiert hatte und zugleich
selbst ein Maßnahmenpapier in die Diskussion brachte. Aus Laschets
Umfeld heißt es, er habe lediglich einen von der Mehrheit der Länder
getragenen Vorschlag erläutert, ohne Söder zu attackieren.

Eine andere Darstellung nennt Kritik von Mecklenburg-Vorpommerns
Regierungschefin Manuela Schwesig (SPD), aber auch von Hessens
Regierungschef Volker Bouffier (CDU) und dessen niedersächsischem
Amtskollegen Stephan Weil (SPD) als Ursprung. Fakt ist, dass es bei
einigen Regierungschefs Unmut gab, weil Bayern am Freitag schon
eigene Regeln erlassen hatte. Dabei habe man zuvor vereinbart, dass
sich alle Ministerpräsidenten bis Sonntag mit eigenen Regeln
zurückhalten.

Was sagen die Beteiligten?

Söder weicht der Frage bei Interviews bisher erfolgreich aus. Schon
nach der Konferenz äußerte er sich zufrieden zum Kompromiss, weitere
Nachfragen lässt er abperlen.

Laschet spielt den Konflikt öffentlich herunter. In Maybrit Illners
Sondersendung «Corona spezial» beschwichtigte er am Sonntagabend im
ZDF: «Es ist nicht laut geworden. Es ist engagiert diskutiert
worden.» Schließlich kämpfe jeder für seine Ideen. «Wenn das nur

dahin plätschern würde, das wäre der Situation auch unangemessen.»


Schwesig mahnte am Montag: «Ich kann nur an alle appellieren, an alle
Politiker, dass Machtspiele und Schaulaufen in so einer Situation
nichts in diesen Entscheidungen zu suchen haben.»

Welche Folgen kann der Streit haben?

Die Zusammenarbeit zwischen den Ministerpräsidenten dürfte sich nicht
gerade verbessert haben. Gravierender könnte aber noch der Eindruck
sein, den der Zwist beim Bürger hinlässt. Denn eigentlich geht es ja
vor allem um deren Gesundheit. Alle Regierungschefs sind zwar ihren
Ländern verpflichtet, aber in einer solchen Ausnahmesituation wie zur
Zeit geht es um die gesamte Bundesrepublik. Umso wichtiger sind daher
einmütige Absprachen zwischen den Ministerpräsidenten.

Wenn Söder als Chef der Ministerpräsidentenkonferenz angeblich mit
dem Abbruch der Schalte droht, dürfte das bei den Menschen nicht
besonders gut ankommen. Die Corona-Krise eignet sich nicht sonderlich
als Profilierungsfeld - im Gegenteil: Entsteht ein solcher Eindruck
beim Bürger, dürfte das den Beteiligten auf die Füße fallen.

Wie ist der Stand im Rennen um den CDU-Vorsitz?

Die drei Kandidaten mit den größten Erfolgschancen - Laschet,
Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz und der CDU-Außenpolitiker
Norbert Röttgen - haben den parteiinternen Wahlkampf wegen der
Corona-Krise vorerst auf Eis gelegt. Während Laschet in diesen Wochen
die Rolle als Ministerpräsident und Krisenmanager ausspielen kann,
fehlen Merz und Röttgen solche medienwirksame Ämter - zumal Merz auch
noch coronainfiziert in häuslicher Quarantäne sitzt.

Kann das Krisenmanagement von Söder und Laschet über den nächsten
Kanzlerkandidaten der Union entscheiden?

Nach dem Motto «Krisen machen Kanzler» ist die jeweilige Performance
ein Gradmesser für alle höheren Aufgaben, die eine Kanzlerschaft mit
sich bringt. Unter diesem Eindruck sehen in Bayern viele Laschet in
der Defensive, da er verglichen mit Söder beim Thema Corona eher als
zögernder Landesvater denn als konsequenter Entscheider aufgefallen
sei - etwa bei Schulschließungen und Ausgangsbeschränkungen. Söder
konnte in der bundesweiten Gunst im bisherigen Verlauf der Krise
deutlich zulegen, glaubt man den Umfragen.

Laschet sieht seine Chance darin, nach dem Motto «Maß und Mitte» jene

hinter sich zu bringen, die keinen Polarisierer an der Spitze der CDU
wollen. Seit Ausbruch der Corona-Krise nutzt er jede Gelegenheit,
staatsmännisch Gemeinsamkeit und abgestimmtes Vorgehen von Bund und
Ländern anzumahnen. Da der 59-Jährige gefragter Gast in Talkshows und
Nachrichtensendungen ist, bespielt er dafür etliche Bühnen. Auch im
ZDF bei Maybrit Illner betonte er wieder die am Ende erzielten
gemeinsamen Positionen: «Das ist das Wichtigste.»

Dass es bei den Auftritten der Regierungschefs in Zeiten von Corona
nicht allein «um Leben und Tod» geht, wie Laschet oft betont, sondern
auch um Qualifikation für die Spitzenposten in der Union, bestritt er
kürzlich: «Es gibt keinen Wettbewerb unter den Ländern.» Er fügte

aber hinzu: «Man muss jetzt die Entschlossenheit ausstrahlen und dann
in Erlassen auch kompetent umsetzen.» Söders Performance kommentierte
er mit den Worten, da habe halt jeder «seine eigene Art aufzutreten».

Welche Rolle spielt Söder bei der Suche nach dem
Unions-Kanzlerkandidaten?

Schon vor Corona-Zeiten war klar, dass es ohne Söder keine
Entscheidung über den künftigen Kanzlerkandidaten der Union geben
kann. Die Chefs der beiden Schwesterparteien - so die dauerhafte
Praxis - entscheiden am Ende, wen sie ihren Parteien zur Abstimmung
vorschlagen. Auch wenn viele weiterhin fest damit rechnen, dass Söder
am Ende auch seinen Hut in den Ring werfen wird, gilt dies in seinem
direkten Umfeld als kategorisch ausgeschlossen. Es gelte die von
Söder schon mehrfach geäußerte Absage an persönliche Ambitionen.

Laschet ist sich der Macht des CSU-Chefs bewusst. Auch wenn ihn
Söders Alleingänge zweifellos ärgern müssen, vermeidet er öffentl
ich
jede Kritik an Bayerns starkem Mann. Als in der vergangenen Woche in
eine WDR-Bürgersprechstunde des Ministerpräsidenten zum Coronavirus
die Eil-Meldung mit Söders Ausgangsbeschränkungen für Bayern platzte,

fing Laschet sich in der Livesendung schnell wieder. Statt seinem
Unmut Luft zu machen, versuchte er die Erklärung: «Ich glaube, er
reagiert auf die Grenznähe zu Österreich.»