«Wir sind nicht blöd»: Japan bereit zur Olympia-Verschiebung Von Andreas Schirmer und Maximilian Haupt, dpa

Nach dem IOC ist nun auch Olympia-Gastgeber Japan bereit die
Sommerspiele in Tokio wegen der Coronavirus-Pandemie zu verlegen.
Athleten wollen aber keine weitere wochenlange Hängepartie. Für eine
Verlegung um ein Jahr hat sich nun auch der DOSB ausgesprochen

Tokio/Berlin (dpa) - Japan hat endlich auf die Wucht der weltweiten
Kritik gegen eine planmäßige Ausrichtung der Olympischen Spiele in
Tokio reagiert. «Wir sind nicht so blöd, die Olympischen Spiele wie
geplant auszutragen», sagte Yoshiro Mori, der Präsident des
Organisationskomitees von Tokio, am Montag auf einer Pressekonferenz.
Auch Premierminister Shinzo Abe spricht angesichts der Ausmaße der
Coronavirus-Pandemie von einer Verschiebung.

«Es ist schwierig, Spiele unter diesen Umständen abzuhalten, wir
müssen über eine Verschiebung entscheiden, wobei die Gesundheit der
Athleten oberste Priorität hat», sagte Abe. Die endgültige
Entscheidung aber liege beim Internationale Olympische Komitee, das
sich dafür eine Frist von vier Wochen gesetzt hat. Der Gastgeber
signalisierte die Bereitschaft, vom Tokio-Termin abzurücken, nicht
aber vom Fackellauf: Der soll Donnerstag in Fukushima beginnen.

Die Verschiebung von Olympia und Paralympics würde Japan teuer zu
stehen kommen. Nach Meinung von Experten wären mit Kosten von bis zu
670 Milliarden Yen (rund 5,7 Milliarden Euro) zu rechnen. Laut dem
Chefökonomen des Finanzunternehmens SMBC Nikko Securities, Junichi
Makino, könnte eine Spiele-Absage das Land 7,8 Billionen Yen kosten.

Viele Athleten drängen auf eine schnellere Entscheidung und ein Ende
der Hängepartie, wie Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler. Vier
Wochen seien «ein sehr, sehr langer Zeitraum», sagte der Jenaer im
Morgenmagazin von ARD und ZDF. «Wir arbeiten aktuell daran, dass noch
schnellere, noch präzisere Entscheidungen getroffen werden», sagte
der Athletenvertreter im Leichtathletik-Weltverband.

World Athletics ist bereit, die für 2021 nach Eugene/USA vergebene WM
im Falle der Verlegung der Tokio-Spiele ins nächste Jahr zu
verschieben. Präsident Sebastian Coe hatte bereits vor dem Beschluss
der Vier-Wochen-Frist in einem Brief an IOC-Chef Thomas Bach eine
Olympia-Verschiebung nahe gelegt. Die Spiele könnten nicht «um jeden
Preis» abgehalten werden», schrieb der Brite. Es sei die Zeit
gekommen, den Athleten «eine Atempause zu geben».

Heftige Kritik übte die Sportausschuss-Vorsitzende des Bundestages an
der Vier-Wochen-Frist und dem IOC. «Ich finde die Entscheidung
respektlos gegenüber den Athleten und angesichts der Lage auf der
Welt verantwortungslos», sagte Dagmar Freitag (SPD) im Interview des
HR-Inforadios. Diese Hinhaltetaktik produziere «einen massiven
Vertrauensverlust» und zeige «ein eklatantes Führungsversagen».

In einer persönlichen E-Mail an die Athleten warb IOC-Präsident
Thomas Bach erneut um Verständnis dafür, dass eine endgültige
Entscheidung über einen Termin für die Tokio-Spiele - eine
Verschiebung in den Herbst, ins nächste Jahr oder bis 2021 - jetzt
noch verfrüht wäre. «Ich weiß, dass diese beispiellose Situation
viele Ihrer Fragen offenlässt», schrieb der 66-jährige Deutsche. «I
ch
weiß auch, dass dieser rationale Ansatz möglicherweise nicht mit den
Emotionen übereinstimmt, die viele von Ihnen durchleben müssen.»

DOSB-Präsident Alfons Hörmann hätte sich eine eindeutigere Position
vom IOC gewünscht, nämlich, dass die Spiele «definitiv nicht zum
geplanten Termin» stattfinden können», sagte der Chef des Deutschen
Olympischen Sportbundes der dpa. Den bisherigen Termin aufgrund der
aktuellen Lage abzusagen wäre auch gegenüber der Öffentlichkeit ein
wertvolles Signal gewesen. Dies entspräche auch der Wertorientierung
des IOC. Doch diese werde gerade in Krisenzeiten nur über eine «klare
Kommunikation und entschiedenes Handeln» für alle nachvollziehbar»,
mahnte Hörmann seinen Vorgänger im DOSB-Amt, Thomas Bach.

Die öffentliche Wahrnehmung des IOC würde ganz entscheidend davon
geprägt, wie in den vier Wochen die weiteren Schritte offen
kommuniziert und konsequent umgesetzt werden.» Da nach den Prognosen
der Experten wegen der Coronavirus-Pandemie ein Termin im Herbst
keine sichere Alternative darstellen würde, «präferieren wir eine
Verlegung mindestens ins nächste Jahr», sagte der DOSB-Chef.

Martin Engelhardt, Mediziner und Präsident der Deutschen
Triathlon-Union, hat hingegen Verständnis für die zögerliche Haltung

des IOC. Er könne das ein Stück weit verstehen, sagte der DTU-Chef
der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (Montag). «Aus
medizinisch-fachlicher Sicht kann man heute nicht sagen, dass Sport
im Juli nicht möglich sein wird», erklärte Engelhard. Dagegen meinte

Thomas Kurschilgen, Leistungssportdirektor der deutschen
Schwimmer: «Vieles spricht für eine Verschiebung des Termins.»

Der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes, Bob Hanning, findet
eine Ausrichtung der Spiele angesichts der Ausbreitung des
Coronavirus für abwegig: «In Zeiten, wo Ausgangssperren verschärft
werden, überhaupt darüber nachzudenken, ist fast schon amüsant.»
Ruder-Präsident Siegfried Kaidel plädiert für eine Verlegung der
Spiele um maximal ein Jahr. «Ein neuer Termin erst in zwei Jahren
wäre nicht akzeptabel. Das wären dann ganz neue Olympische Spiele,
weil viele der älteren Athleten nicht mehr dabei wären», sagte er.

Auch Tennisspielerin Andrea Petkovic hält die Suche nach einem neuen
Olympia-Termin als unausweichlich. «Ich sehe nicht, dass da jetzt
Millionen von Menschen hin stürmen und sich auf kleinstem und engstem
Raum zusammengepfercht Sport angucken», sagte die Weltranglisten-87.
in einem Jung&Live-Podcast.

Die Chancengleichheit bei Tokio-Spielen noch in diesem Jahr spielt
für Fecht-Olympiasiegerin Britta Heidemann keine Rolle. «Im Zweifel
würde ich als Athlet wohl lieber mit Trainingsrückstand als gar nicht
antreten», sagte das Mitglied in der Athletenkommission des IOC.

Bundesinnenminister Horst Seehofer weiß um die starken
Einschränkungen des Sports als Folge der Coronavirus-Krise. Der
CSU-Politiker respektiere die Autonomie des Sports «und sieht ihre
Grenzen angesichts der Wirkungsmacht der Pandemie», teilte das
Ministerium auf dpa-Anfrage mit. Um eine Verbreitung des Coronavirus
einzudämmen, sind fast alle Trainingsstätten in Deutschland
geschlossen. Der Wettkampfbetrieb ist zum Erliegen gekommen.