Mega-Hilfspaket im Kabinett - und Merkel am Telefon Von Theresa Münch und Basil Wegener, dpa

Nicht mehr mit Freunden im Park sitzen zu dürfen - das ist längst
nicht die einzige Sorge der Bürger in der Corona-Krise. Viele
fürchten um ihre Arbeitsplätze. Der Bund springt mit einem
historischen Hilfsprogramm in die Bresche.

Berlin (dpa) - Kein Problem, die Kanzlerin habe er ja an der Stimme
erkannt, scherzt Vizekanzler Olaf Scholz nach der Sitzung des
Bundeskabinetts. Dann hält der SPD-Finanzminister strahlend einen
dicken Batzen Papier hoch. Das ist es, das Mega-Paket, das die
Auswirkungen der Corona-Pandemie in Gesellschaft und Wirtschaft
abfedern soll. Als das Kabinett die Notregelungen am Montag
beschloss, musste Kanzlerin Angela Merkel (CDU) per Telefon
zugeschaltet werden - wegen Kontakts mit einem Corona-Infizierten ist
sie in ihrer Berliner Privatwohnung in Quarantäne.

Jetzt arbeitet also auch die Kanzlerin im Homeoffice - genau wie
Millionen Bürger in Deutschland, für die seit Montag strenge
Kontaktbeschränkungen gelten. Nicht alle sind dabei so gut gelaunt
wie der Vizekanzler, der sich in seiner Rolle als
Rettungspaket-Schnürer sichtlich gefällt. Ob bei Eltern,
Beschäftigten oder Selbstständigen - die Corona-Epidemie verursacht
Existenzängste. Die Wirtschaft steht vor einem massiven Abschwung.
Bedroht sind Konzerne und Kleinunternehmen. Der Staat spannt deshalb
mit einem beispiellosen Gesetzespaket Rettungs- und Schutzschirme
auf:

Was soll gegen Massenarbeitslosigkeit helfen?

Das bewährte Mittel aus der Finanzkrise 2008/2009: Kurzarbeit. Wenn
es nichts mehr zu arbeiten gibt, kann ein Unternehmen die Mitarbeiter
in Kurzarbeit schicken - die Bundesagentur für Arbeit übernimmt 60
Prozent des Lohns, bei Menschen mit Kindern 67 Prozent. Die
Unternehmen bekommen Sozialbeiträge erstattet. Kurzarbeitergeld kann
künftig fließen, wenn nur zehn Prozent der Beschäftigten vom
Arbeitsausfall betroffen sind - statt wie bisher ein Drittel. Auch
Zeitarbeitsunternehmen können die Leistung anzeigen.

Wie viele Menschen werden davon betroffen sein?

Die Regierung geht von 2,15 Millionen Fällen von konjunkturellem
Kurzarbeitergeld aus - Kostenpunkt: 10,05 Milliarden Euro. In einigen
Branchen wie der Metall- und Elektroindustrie und der
Systemgastronomie stocken die Unternehmen das Kurzarbeitergeld auf.
Die Gewerkschaften fordern das vehement für alle.

Wie wird kleinen Firmen geholfen?

Ganz kleine Firmen und Selbstständige, Musiker, Fotografen,
Heilpraktiker oder Pfleger, die gerade kaum Kredite bekommen, können
direkte Finanzspritzen erhalten. Je nach Unternehmensgröße sind das
für drei Monate 9000 bis 15 000 Euro. Das Geld solle schnell
ankommen, versicherte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Schon
Anfang kommender Woche könne es in den Bundesländern sein. Um es zu
bekommen, müssen die Betroffenen nur versichern, dass sie durch
Corona einen Liquiditätsengpass haben.

Was ist mit größeren Unternehmen?

Für mittelgroße Firmen startete am Montag ein unbegrenztes
Kreditprogramm über die staatliche Förderbank KfW. Große Unternehmen

wie etwa die Lufthansa sollen notfalls auch durch Verstaatlichungen
gerettet werden. Man wolle so wenig wie möglich eingreifen, aber «im
Bedarfsfalle auch handeln», sagte Altmaier. Die Bundesregierung will
den Firmen milliardenschwere Garantien geben und auch Schuldtitel
übernehmen. Wenn die Krise vorbei ist, sollen sie wieder privatisiert
werden. Die Firmen in Deutschland können zudem ihre Steuern später
begleichen.

Wie teuer sind diese Rettungsmaßnahmen?

Die Bundesregierung will dafür in diesem Jahr so viele Schulden
aufnehmen wie nie. Das Finanzministerium rechnet mit Kosten für die
Hilfsprogramme von 122,8 Milliarden Euro. Zugleich kommen wohl 33,5
Milliarden Euro weniger Steuern rein. Deshalb plant Minister Olaf
Scholz (SPD) eine Neuverschuldung von 156,3 Milliarden Euro. Das sind
ungefähr 100 Milliarden mehr als die Schuldenbremse im Grundgesetz
erlaubt. Die Regelung soll deshalb am Mittwoch im Bundestag erst
einmal außer Kraft gesetzt werden.

Welche Hilfen gibt es für die Bürger?

Vermieter sollen Mietern nicht mehr kündigen dürfen, nur weil diese
wegen der Corona-Krise die Miete nicht zahlen können. Gelten soll
dies zunächst für Mietschulden aus dem Zeitraum vom 1. April bis 30.
Juni 2020. Nachweisen soll man das nicht groß müssen: «Der
Zusammenhang zwischen Covid-19-Pandemie und Nichtleistung wird
vermutet», heißt es im Kabinettsbeschluss. Die Verpflichtung der
Mieter zur Zahlung der Miete soll aber im Grundsatz bestehen bleiben.

Was soll im sozialen Bereich noch geschehen?

Bei Anträgen auf Hartz IV sollen die Vermögensprüfung und die Prüfu
ng
der Höhe der Wohnungsmiete für ein halbes Jahr ausgesetzt werden. Die
Regierung rechnet damit, dass es bis zu 1,2 Millionen zusätzliche
Grundsicherungsbezieher geben wird - und dadurch zehn Milliarden Euro
Mehrkosten. Familien mit Einkommenseinbrüchen sollen leichter an den
Kinderzuschlag kommen: Geprüft werden soll statt des Einkommens aus
den letzten sechs Monaten nur das vom letzten Monat. Eltern mit
wegbrechendem Einkommen wegen Kinderbetreuung sollen Hilfen bekommen.

Welche weiteren Neuregelungen wurden angestoßen?

Beschlossen wurden eine ganze Reihe weiterer Schritte, etwa eine
große Finanzspritze für die Krankenhäuser von mehr als drei
Milliarden Euro. Der Bund bekommt mehr Kompetenzen beim
Seuchenschutz, das Insolvenzrecht wird gelockert, so dass Firmen
nicht so schnell pleite gehen. Für besonders wichtige Branchen gibt
es auch Lockerungen beim Arbeitszeitgesetz.

Gilt das alles sofort?

Nein, aber so schnell wie möglich. Der Bundestag soll den
Gesetzesänderungen am Mittwoch zustimmen, der Bundesrat kommt am
Freitag zu einer Sondersitzung zusammen - wahrscheinlich im kleinen
Kreis mit einem Kabinettsmitglied pro Land. Altmaier sagte, in großen
Notfällen könne aber auch schon vor Beginn der kommenden Woche Geld
fließen oder Banken könnten bereits Kredite vergeben.

Gibt es Kritik an den Plänen?

Reichlich - auch weil noch völlig unsicher ist, ob die Maßnahmen
ausreichen. Niemand weiß, wie lange das öffentliche Leben gelähmt ist

und wie sehr die Unternehmen wirklich leiden. Ein Hauptkritikpunkt:
Das Kurzarbeitergeld sei für Menschen mit geringen Einkommen zu
wenig, sie kämen mit 60 Prozent ihres Gehalts nicht über die Runden.
Viele soziale und kulturelle Einrichtungen fürchten zudem bundesweit
das Aus. Große Sorgen machen sich Experten in der Krise um Menschen
mit Behinderungen, Obdachlose, Arme oder auch Prostituierte.