Wirtschaft erleichtert über Rettungspaket - «Wasser bis zum Hals»

Die Politik spannt einen beispiellosen Rettungsschirm über die
deutschen Unternehmen. So soll auch der drohende Einbruch von Europas
größter Volkswirtschaft in Folge der Corona-Krise abgebremst werden.
Die Industrie mahnt: «Es kommt auf jeden Tag an.»

Berlin (dpa) - Die deutsche Wirtschaft hat das großangelegte
Rettungspaket der Bundesregierung gegen die Corona-Krise begrüßt -
pocht aber weitere Erleichterungen für Unternehmen und Beschäftigte.
«Es ist gut, dass die Bundesregierung jetzt keine Zeit verliert»,
sagte der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes BDI, Joachim
Lang, am Montag in Berlin. Das Paket zur Stabilisierung der
Wirtschaft sei zu Recht umfangreich, um den Unternehmen schnell,
unbürokratisch und passgenau zu helfen: «Das Wasser steht vielen
Unternehmen bis zum Hals. Es kommt auf jeden Tag an.»

Auch die Kreditprogramme über die Förderbank KfW müssten unverzügli
ch
von kommender Woche an laufen. Lobenswert sei, dass die Regierung
keine finanziellen Grenzen aufzeige und die Kreditbedingungen
verbessert habe: «Die Beteiligungsmöglichkeiten für den Staat sind in

dieser Situation vertretbar, wenn Unternehmen nur so vor der
Insolvenz gerettet werden können.» Bei den Rettungspaketen geht es um
ein Sofortprogramm für Solo-Selbständige und Kleinstunternehmen sowie
um ein umfassendes Kreditpaket und Anpassungen im Insolvenzrecht.

DIHK-Präsident Eric Schweitzer sprach von einem wichtigen Hilfspaket.
Aber für viele Betriebe laufe die Krisenuhr schneller als politische
Entscheidungen. Hilfsgelder müssten noch in diesem Monat fließen.
Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer erklärte, die vom Kabinett
auf den Weg gebrachten Unterstützungsmaßnahmen seien notwendig,
sachgerecht und angemessen. Zugleich sprach er sich für weitere
steuerliche Entlastungsschritte aus. Lob kommt auch
vonArbeitgeberpräsident Ingo Kramer, der aber Handlungsbedarf sieht.
«Wir erwarten, dass zeitnah weitere Maßnahmen geprüft werden, zum
Beispiel ein erweiterter Verlustrücktrag, der Liquiditätsgewinnung
vorzieht. Viele Gesetze sind technisch noch nicht Pandemie-fest
genug», sagte Kramer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Dienstag).
Auch für Auszubildende sollte Kurzarbeitergeld möglich sein.

Für das Rettungspaket hatte das Bundeskabinett einen
Nachtragshaushalt mit der Rekordsumme von 156 Milliarden Euro
beschlossen. «Wir gehen in die Vollen, um die Gesundheit der
Bürgerinnen und Bürger zu schützen, die Arbeitsplätze und Unternehm
en
zu schützen, um unser Land zu schützen», versicherte Finanzminister
und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD). Damit die Hilfen zügig da
ankommen, wo sie gebraucht werden, sollen Bundestag und Bundesrat sie
noch in dieser Woche beschließen. Ökonomen und auch die
Bundesregierung rechnen mit einer Rezession. Wirtschaftsminister
Peter Altmaier (CDU) sagte, der Rückgang des Bruttoinlandsproduktes
(BIP) werde mindestens so hoch sein wie in der Finanzkrise 2009.
Damals ging das BIP um 5,7 Prozent zurück.

Die Hilfen sollen nicht nur großen Unternehmen zu Gute kommen.
Existenzgefährdete Kleinstunternehmer und Solo-Selbstständige sollen
über drei Monate Finanzspritzen von 9000 bis 15 000 Euro bekommen.
Größere Unternehmen ab 250 Mitarbeitern oder mit hohen Umsatzerlösen

sollen unter einen Schutzschirm schlüpfen können: Sie sollen mit
Kapital und Garantien gestärkt werden, dafür plant die
Bundesregierung 500 Milliarden Euro ein. Notfalls werde der Staat
Firmen damit auch teilweise oder ganz übernehmen, sagte Altmaier.

Außerdem sollen Vermieter ihren Mietern nicht mehr kündigen dürfen,
wenn diese wegen der Corona-Krise ihre Miete nicht zahlen können. Das
gilt auch für kleine Läden. Kleine Firmen können auch bei anderen
Zahlungen Aufschübe bekommen, das Insolvenzrecht wird gelockert.

Das Sonderkreditprogramm der KfW ist am Montag an den Start gegangen.
Hausbanken bieten es damit Firmenkunden an. Altmaier verwies darauf,
niedrigere Zinssätze und eine vereinfachte Risikoprüfung der KfW bei
Krediten bis zu drei Millionen Euro sollten weitere Erleichterung
schaffen. Eine höhere Haftungsfreistellung durch die KfW von bis zu
90 Prozent bei Betriebsmitteln und Investitionen von kleinen und
mittleren Unternehmen soll Banken und Sparkassen die Kreditvergabe
erleichtern.

Die Bundesbank rechnet mit einer «ausgeprägten» Rezession in
Deutschland. Die Maßnahmen zu Eindämmung der Infektionszahlen hätten

massive wirtschaftliche Auswirkungen, hieß es im Monatsbericht der
Notenbank. «Das Abgleiten in eine ausgeprägte Rezession ist nicht zu
verhindern.» Eine wirtschaftliche Erholung werde erst einsetzen, wenn
die Pandemiegefahr wirksam eingedämmt sei.

Nach Berechnungen des Münchner Ifo-Instituts könnte die Corona-Krise
mehr als eine halbe Billion Euro und mehr als eine Million Jobs
kosten. «Die Kosten werden voraussichtlich alles übersteigen, was aus
Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte in
Deutschland bekannt ist», sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Der
Rückgang könnte je nach Szenario 7,2 bis 20,6 Prozentpunkte betragen.
«Das entspricht Kosten von 255 bis 729 Milliarden Euro.»

Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding sieht gute Chancen für eine
wirtschaftliche Erholung noch im laufenden Jahr. Zwar müsse man
derzeit davon ausgehen, «dass zumindest für die Monate März bis Mai
der Rückgang der Wirtschaftsleistung über das hinausgehen dürfte, was

wir in der großen Finanzkrise 2008/2009 gesehen haben», sagte
Schmieding am Montag in einer Telefonkonferenz. Er gehe jedoch davon
aus, dass die Hilfsprogramme verhindern werden, dass Arbeitslosigkeit
und Unternehmenspleiten dramatisch ansteigen werden.