Tschentscher warnt vor Missachtung der Auflagen gegen Corona-Pandemie Von Markus Klemm, dpa

Hamburgs Bürger halten sich weitgehend an die neuen Auflagen zur
Eindämmung der Corona-Pandemie. Bürgermeister Tschentscher lässt
keinen Zweifel daran, dass er deren Einhaltung durchsetzen will.
Hamburger Abiturienten haben derweil eine bundesweite Petition
gestartet.

Hamburg (dpa/lno) - Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD)
hat die Menschen aufgefordert, sich unbedingt an die noch einmal
verschärften Auflagen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu halten.
«Wir dürfen mit der Gesundheit und dem Leben von Menschen nicht
leichtfertig umgehen und müssen deshalb drauf bestehen, dass sich
alle an die Regeln halten», sagte er in einem am Sonntagabend in
sozialen Medien verbreiteten Video.

Die Maßnahmen seien auf Grundlage der Empfehlungen von
Gesundheitsexperten ergriffen worden, sagte Tschentscher. Durch sie
werde das öffentliche Leben «und auch das persönliche Leben von uns
allen» stark eingeschränkt. «Auf vieles, das unsere Lebensqualität
in
Hamburg ausmacht, müssen wir für eine gewisse Zeit verzichten.» Es
komme nun drauf an, «dass wir so gut es geht zuhause bleiben und den
direkten Kontakt mit anderen vermeiden». Die meisten Bürger
verhielten sich «verantwortungsvoll», sagte der Bürgermeister.

Zuvor hatten sich Bund und Länder auf eine umfassende Beschränkung
sozialer Kontakte geeinigt. Maximal zwei Personen, die nicht
miteinander verwandt sind oder zusammenleben, dürfen in der
Öffentlichkeit noch zzusammen sein. Familien oder Wohngemeinschaften
sind ausgenommen. Ferner wurde festgelegt, dass Handwerke und
Dienstleistungen, bei denen der Mindestabstand von 1,50 Meter nicht
eingehalten werden kann, ebenfalls untersagt sind. Dies gilt etwa für
Friseure, Kosmetikstudios, Massagepraxen oder Tattoo-Studios.

POLIZEI - Nach Angaben der Polizei halten sich die Hamburgerinnen und
Hamburger bislang größtenteils an die neuen Kontakteinschränkungen.
«Die Nacht war extrem ruhig», sagte ein Polizeisprecher am Montag der
Deutschen Presse-Agentur. Wo jedoch Verstöße festgestellt worden
seien, habe man diese auch verfolgt. Zahlen wollte er nicht nennen.
Wegen des veränderten Sozialverhaltens der Menschen geht die Polizei
davon aus, dass die allgemeine Kriminalität wie Diebstahl, Einbruch
und Taschendiebstahl zurückgehen wird, auch wenn sich dies noch nicht
mit Zahlen belegen lasse. «Wir legen unseren Fokus deshalb verstärkt
auf Laden- oder Büroeinbrüche sowie Betrügereien mit Corona-Bezug.»


VERKEHR - Der Mindestabstand zu anderen Menschen ist in der Rushhour
beim Bahnverkehr nur schwer durchgängig einzuhalten. So kamen sich
die Menschen am Montagmorgen am Hamburger Hauptbahnhof beim Ein- und
Aussteigen ziemlich nahe - obwohl die Fahrgastzahlen massiv
zurückgegangen sind. «Wir zeigen am Hauptbahnhof Präsenz und werden
Menschen, die die Regeln nicht einhalten, auch ansprechen», sagte ein
Sprecher der Bundespolizei. Außerdem solle es Lautsprecherdurchsagen
mit «Achtung, Abstand halten» geben. Der Sprecher wies aber darauf
hin, dass in der Allgemeinverfügung Ansammlungen zulässig sind, wenn
sie bei der Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs entstehen.

ZAHL DER FÄLLE - Ungeachtet aller Maßnahmen steigt die Zahl der
bestätigten Corona-Infektionen weiter. Am Sonntag wurden in Hamburg
119 weitere Fälle von Erkrankungen mit Covid-19 bestätigt. Damit sei
die Zahl der in Hamburg gemeldeten Fälle auf nunmehr 887 gestiegen,
teilte der Senat mit. Dazu kommt eine Dunkelziffer, die von
Fachleuten unterschiedlich eingeschätzt wird und um das fünf- bis
zehnfache über den gemeldeten Werten liegen könnte.

HANDWERK, GEWERKSCHAFTEN - Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und
die Handwerkskammer Hamburg haben die Unternehmen aufgefordert, trotz
Corona-Krise Arbeitsplätze zu erhalten und die Zukunft des Handwerks
zu sichern. In einem gemeinsamen Appell riefen sie Arbeitgeber und
Betriebsräte auf, die alle Instrumente und Mittel auszunutzen.
«Sichern Sie die Arbeitsplätze Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
und zahlen Sie die Löhne weiter», erklärte der
Arbeitnehmer-Vizepräsident der Handwerkskammer, Karl-Heinz Westphal.

Hamburgs DGB-Chefin Katja Karger sagte, etwa über die neuen
Regelungen zum Kurzarbeitergeld könnten Betriebe Fachkräfte an das
Unternehmen zu binden und Beschäftigung zu sichern. «Mit
Menschlichkeit und sozialer Verantwortung füreinander meistern wir
gemeinsam diese historische Krise.» Handwerkskammerpräsident Hjalmar
Stemmann betonte, in dieser Ausnahmesituation müssten jetzt vor allem
auch die Banken unbürokratisch helfen.

ABITUR - Zwei Hamburger Schüler haben angesichts der Corona-Pandemie
ein Petition zur bundesweiten Absage der Abitur-Prüfungen gestartet.
Stattdessen soll in diesem Jahr jede Schülerin und jeder Schüler
deutschlandweit ein sogenanntes Durchschnittsabitur erhalten, heißt
in der unter anderem an Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Hamburgs
Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und zahlreiche
Bildungsminister der Länder gerichteten Petition. Dabei soll ein
Durchschnitt der einzubringenden 32 bis 40 Semesterergebnisse der
vergangenen vier Halbjahre errechnet und als Abiturnote festgelegt
werden. Die beim Internetportal «change.org» veröffentlichte Petition

haben bis Montagmittag gut 18 000 Unterstützer unterzeichnet.

KIRCHEN - Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland
(Nordkirche) hat unterdessen besonders für alte, kranke und sozial
isolierte Menschen eine kostenlose Seelsorge-Hotline eingerichtet.
Unter der Nummer 0800 4540106 werden insgesamt 35 ausgebildete
Seelsorger täglich von 14 bis 18 Uhr als Gesprächspartner erreichbar
sein, wie die Nordkirche mitteilte. Das Hilfsangebot richte sich an
jeden, unabhängig von Glaube oder Religionszugehörigkeit, sagte
Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt.

SPENDENPARLAMENT - Das Hamburger Spendenparlament vergibt angesichts
der Corona-Pandemie erstmals seit seiner Gründung im Jahr 1996 mehr
als 400 000 Euro Fördermittel ohne voherige Abstimmung im Plenum.
«Präsidium, Vorstand und Finanzkommission haben entschieden, dass die
18 von der Finanzkommission vorgeschlagenen Projekte ohne
Parlamentssitzung Fördermittel erhalten», erklärte Vorstandschef Uwe

Kirchner. Das Hamburger Spendenparlament hat nach eigenen Angaben
seit 1996 rund 1350 Projekte in Hamburg gegen Obdachlosigkeit, Armut
und Isolation mit rund 13 Millionen Euro unterstützt.

GESCHICHTE - Für den Medizinhistoriker Philipp Osten, Leiter des
Instituts für Geschichte und Ethik in der Medizin beim
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), ist die Corona-Pandemie
schon jetzt ein «eindeutig historisches Ereignis». Am ehesten sei die
Situation mit dem Reaktor-Unglück von Tschernobyl zu vergleichen,
sagte Osten der «Neuen Osnabrücker Zeitung». Mit Blick auf die Lage
in überfüllten italienischen Krankenhäusern sagte Osten: «Die
Situation, jemanden, der eigentlich rettbar ist, von der Maschine zu
nehmen, weil jemand anderes da ist, der nach gewissen Kriterien
bessere Überlebenschancen hat - auf so etwas können Sie keinen
Mediziner vorbereiten.»