Kabinett beschließt Hilfen in Corona-Krise - Merkel in Quarantäne Von Ulrich Steinkohl, dpa

Die Schwarze Null im Haushalt ist in Corona-Zeiten nicht zu halten.
Das Bundeskabinett beschließt einen Nachtragsetat mit einer enormen
Neuverschuldung von rund 156 Milliarden Euro. Die Kanzlerin kann der
Sitzung nur aus der Ferne beiwohnen.

Berlin (dpa) - Im Eiltempo hat das Bundeskabinett am Montag die
Hilfen für die Wirtschaft zur Bewältigung der Corona-Krise auf den
Weg gebracht. Ungewöhnlich war schon der Wochentag, denn die
Ministerrunde tagt eigentlich immer mittwochs. Noch ungewöhnlicher
war, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Kabinett per
Telefonschalte leitete - sie ist selbst in Quarantäne.

KABINETT VERABSCHIEDET HILFSPAKET

Mit einem beispiellosen Hilfspaket unterstützt der Bund Familien,
Mieter, Beschäftigte, Selbstständige und Unternehmen in der
Corona-Krise. Das Kabinett beschloss am Montag gleich mehrere große
Schutzschirme und umfangreiche Rechtsänderungen. Damit die Hilfen
rasch ankommen, soll im Schnellverfahren der Bundestag bereits am
Mittwoch und der Bundesrat am Freitag den Maßnahmen zustimmen. Für
die umfangreichen Hilfen fällt nach sechs Jahren ohne neue Schulden
die schwarze Null im Bundeshaushalt - das Kabinett beschloss einen
Nachtragshaushalt mit einer Neuverschuldung von rund 156 Milliarden
Euro. Dafür soll der Bundestag am Mittwoch eine Notfallregelung in
der Schuldenbremse in Kraft setzen.

Das Hilfspaket umfasst viele Bereiche: Kleine Firmen und
Solo-Selbstständige wie Künstler und Pfleger sollen über drei Monate

direkte Zuschüsse von bis zu 15 000 Euro bekommen. Über einen
Stabilisierungsfonds sollen Großunternehmen mit Kapital gestärkt
werden können, der Staat soll sich notfalls auch an den Firmen
beteiligen können. Außerdem sollen Vermieter ihren Mietern nicht mehr
kündigen dürfen, wenn diese wegen der Corona-Krise ihre Miete nicht
zahlen können. Mit erweiterten Regelungen zur Kurzarbeit sollen
Unternehmen zudem Beschäftigte leichter halten können, statt sie in
die Arbeitslosigkeit zu schicken.

VERSTIMMUNGEN ZWISCHEN DEN LÄNDERN

Nach dem Bund-Länder-Beschluss zu Kontaktverboten verteidigte Bayerns
Ministerpräsident Markus Söder das Ausscheren seines Landes. Das sei
eine «sehr kleine Sache», sagte er am Montag im ZDF-«Morgenmagazin»
.
Die Betroffenheit der Länder sei unterschiedlich. Er habe schon am
Freitag über Ausgangsbeschränkungen entschieden, das sei eine
angemessene und notwendige Entscheidung gewesen. Bund und Länder
hatten am Sonntag ein Kontaktverbot beschlossen: Ansammlungen von
mehr als zwei Personen werden mit wenigen Ausnahmen verboten. Bei den
Bund-Länder-Beratungen soll Söder Kritik anderer Ministerpräsidenten

bekommen haben. Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela
Schwesig (SPD) wandte sich am Montag im Deutschlandfunk allgemein
gegen «Machtspiele und Schaulaufen in so einer Situation».

KONTAKTVERBOTE UND KONTROLLEN

Die Polizei kontrolliert in den Bundesländern die am Sonntag
beschlossenen Kontaktverbote und weiteren Beschränkungen im Kampf
gegen die Corona-Pandemie. «Wie in den letzten Tagen auch sind wir
heute mit erhöhter Präsenz unterwegs», sagte am Montag beispielsweise

eine Sprecherin der Polizei Hannover am Montag. Im Saarland sagte ein
Polizeisprecher zur dort bereits seit dem Samstag geltenden
Ausgangsbeschränkung: «Sie wird im Großen und Ganzen eingehalten.»
Am
Wochenende habe es «noch ein paar Auffälligkeiten» gegeben, bei denen

die Polizei eingeschritten sei und bei «Uneinsichtigkeit» auch
Anzeigen erstattet habe. Aber: «Der Großteil der Bevölkerung hat
verstanden, was gemeint ist und hält sich auch daran.»

REGIERUNG LETTLANDS IN QUARANTÄNE

Wie der Bundeskanzlerin ergeht es in Lettland einem Großteil der
Regierung. Dort haben sich 9 von 13 Kabinettsmitglieder auf Anraten
der Gesundheitsbehörden in häusliche Quarantäne begeben. Nach Angaben

der Staatskanzlei in Riga ist auch Ministerpräsident Krisjanis Karins
darunter. Die Regierungsarbeit werde aus der Ferne ohne persönliche
Treffen fortgesetzt, hieß es. Hintergrund ist die Infizierung eines
Abgeordneten des lettischen Parlaments, der Kontakt mit
Regierungsvertretern gehabt hatte.

CORONA HAT BÖRSEN WEITER FEST IM GRIFF

Die Börsen in Europa kannten am Montag erneut nur eine Farbe: tiefes
Rot - gleich kräftiges Minus. Der deutsche Leitindex Dax verlor bis
zum Mittag rund 300 Punkte - zum Auftakt waren es allerdings noch
deutlich mehr gewesen.

Auch eine Folge der Corona-Krise: Die Deutsche Bank schließt als
Sicherheitsmaßnahme vorübergehend über 200 Filialen in Deutschland
für den Kundenverkehr. Von diesem Dienstag an werde das bundesweite
Filialnetz bis auf Weiteres von mehr als 500 auf rund 290
verkleinert, teilte Deutschlands größtes Geldhaus am Montag in
Frankfurt mit. Ziel sei es, dennoch für Kunden im ganzen Bundesgebiet
gut erreichbar zu sein. Bei Schließung eines Standortes werden dessen
Dienstleistungen von den nächstgelegenen Deutsche-Bank-Filialen oder
vom mobilen Vertrieb übernommen.

SCHLECHTE AUSSICHTEN FÜR WIRTSCHAFT UND ARBEITSMARKT

Die Coronavirus-Krise könnte Deutschland nach Berechnungen des
Münchner Ifo-Instituts mehr als eine halbe Billion Euro und mehr als
eine Million Jobs kosten. «Die Kosten werden voraussichtlich alles
übersteigen, was aus Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen der
letzten Jahrzehnte in Deutschland bekannt ist», sagte Ifo-Präsident
Clemens Fuest am Montag. Statt eines leichten Wachstums wird die
Wirtschaft demnach deutlich schrumpfen. Der Unterschied könnte je
nach Szenario 7,2 bis 20,6 Prozentpunkte betragen. «Das entspricht
Kosten von 255 bis 729 Milliarden Euro», sagte Fuest. Auch am
Arbeitsmarkt werde es zu «massiven Verwerfungen» kommen. Bis zu 1,8
Millionen sozialversicherungspflichtige Jobs könnten abgebaut werden,
mehr als 6 Millionen Menschen von Kurzarbeit betroffen sein.

VERSCHIEBUNG DER OLYMPISCHEN SPIELE IN DEBATTE

Die Anzeichen für eine historisch einmalige Verschiebung von
Olympischen Sommerspielen mehren sich. Nachdem das Internationale
Olympische Komitee (IOC) am Sonntag erstmals Gedankenspiele dieser
Art zugelassen und sich selbst einen Vier-Wochen-Zeitraum für die
Entscheidung gegeben hatte, sprach auch Japans Premierminister Shinzo
Abe von einer Verschiebung der Sommerspiele 24. Juli bis 9. August
2020 in Tokio. Vor dem Parlament in Tokio sagte er am Montag, dass
damit gerechnet werden müsse.

IOC-Präsident Thomas Bach wandte sich in einer persönlichen Email an
die Athletinnen und Athleten in aller Welt und warb um Verständnis
für die schwierige Entscheidung, die Olympischen Spiele
möglicherweise verschieben zu müssen. «Menschenleben haben Vorrang
vor allem, auch vor der Durchführung der Spiele. Das IOC will Teil
dieser Lösung sein.»