Intendant Gniffke: Viele SWR-Mitarbeiter unter Quarantäne Interview: Bernward Loheide, dpa

Etwa jeder zweite Mitarbeiter des Südwestrundfunks arbeitet wegen der
Corona-Pandemie von zu Hause aus. Trotzdem fährt der Sender nach
Angaben seines Intendanten «im Volllastbetrieb». Mehrere Dreharbeiten
mussten allerdings unterbrochen werden - nicht nur beim «Tatort».

Stuttgart (dpa) - Der Südwestrundfunk will den Ausfall ganzer
Standorte in der Coronakrise verhindern, ist aber für den Notfall
gerüstet. «Wenn ein Studio lahmgelegt wäre, könnten andere
einspringen», sagte der SWR-Intendant Kai Gniffke in einem Interview
der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.

Frage: Wie sieht es in den SWR-Studios aus? Wie viele Mitarbeiter
arbeiten inzwischen von zu Hause aus?

Antwort: Gerade jetzt sind wir für die Menschen da. Dabei verändert
sich unsere Arbeit im Moment radikal. Ungefähr die Hälfte im SWR
arbeitet im Home-Office, viele stehen zu Hause unter Quarantäne oder
fallen krankheitsbedingt aus.

Frage: Wie wirkt sich das in den Programmen aus?

Antwort: Der SWR macht volles Programm. Auf allen Hörfunk-Wellen,
Online, Social und im SWR-Fernsehen. Trotz Corona - der SWR fährt im
Volllastbetrieb. In diesen Zeiten wollen die Leute Informationen,
Beratung und Zerstreuung. Und das suchen sie zunächst in ihren
Programmen des SWR, die sie jeden Tag sehen und hören. Unsere
Hörfunkwellen oder das SWR-Fernsehen bieten dabei ein Stück
Normalität und versuchen gleichzeitig, auf die Besonderheiten der
Situation zu reagieren. Es gibt Sondersendungen im SWR-Fernsehen,
Live-Streams exklusiv auf unseren Social-Media-Accounts und besondere
Aktionen im Radio. Und gleichzeitig müssen wir natürlich auch darauf
achten, dass wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen.

Frage: Was machen Sie, wenn ein Studio wie Stuttgart komplett geräumt
werden muss?

Antwort: Wir arbeiten in manchen Bereichen in getrennten Teams, um
das Risiko von kompletten Ausfällen zu verhindern. Die Zahl der
Standorte des SWR könnte sich jetzt sogar als Vorteil erweisen. Wenn
ein Studio lahmgelegt wäre, könnten andere einspringen.

Frage: Werden in der ARD dritte Programme zusammengelegt?

Antwort: Es gibt auch für andere Katastrophenfälle natürlich
Notfallpläne, wenn irgendein Programm nicht mehr senden kann. Aber
gerade regionale Information ist doch in diesen Zeiten wichtig. Wir
werden alle Kräfte mobilisieren, um für unser Publikum da zu sein. Im
Hörfunk haben wir uns darauf verständigt, dass Programmteile
gegebenenfalls von anderen ARD-Anstalten übernommen werden können. Da
denke ich unter anderem an die ARD-Infoprogramme. Das sind aber
absolute Notfalloptionen. (...)

Frage: Die Regierung denkt über eine bundesweite Ausgangssperre nach.
Was würde das für die Arbeit der Medien bedeuten?

Antwort: Unsere Aufgabe würde durch eine solche Maßnahme eher noch
wichtiger, wenn es darum geht, die Menschen zu Hause zu informieren,
zu beraten und zu unterhalten. Aber eine Ausgangssperre könnte
natürlich auch unsere Berichterstattung erschweren. Ich rechne aber
damit, dass wir auch dann weiterhin journalistisch arbeiten könnten.
Sicher kann man unsere Arbeit nicht mit denen vergleichen, die gerade
Leben retten und die Versorgung sicherstellen - vor diesen Menschen
habe ich einen Riesenrespekt. Aber auch die Medien spielen eine
wichtige Rolle bei der täglichen Daseinsvorsorge, und darum sollte
unser Betrieb sichergestellt sein. Nach meinem Eindruck gibt es dafür
in Politik und Gesellschaft durchaus ein Bewusstsein.

Frage: Die Dreharbeiten für den Ludwigshafener «Tatort» sind wegen
der Coronakrise unterbrochen worden. Welche anderen Produktionen sind
derzeit nicht möglich?

Antwort: Wir verzichten natürlich auch auf Studiopublikum bei unseren
Produktionen. Neben dem «Tatort» trifft es auch andere Produktionen,
weil die Gesundheit von Mitarbeitenden und Darstellern vorgeht.
Außerdem gibt es derzeit oft keine Drehgenehmigungen im öffentlichen
Raum mehr. Auch unsere Serie «Die Fallers» können wir im Moment nicht

weiterdrehen.

Frage: Was bedeutet das für Regisseure, Maskenbildner, Beleuchter und
andere Beteiligte?

Antwort: Dass in der Kreativwirtschaft etwa bei Produktionsfirmen
gerade viele vor unabsehbaren finanziellen Auswirkungen stehen, lässt
uns natürlich nicht kalt. Wir haben uns deshalb im Kreis der
Intendantinnen und Intendanten der ARD darauf verständigt, die
unterbrochenen Produktionen auf jeden Fall nach Corona zu einem
erfolgreichen Abschluss zu bringen und uns an den entstehenden
Mehrkosten zu beteiligen. Damit wollen wir wirtschaftliche
Notsituationen helfen zu überbrücken.

Frage: Der SWR reagiert mit Sonderanstrengungen und geänderten
Sendeabläufen auf die aktuellen Entwicklungen. Was ist noch geplant?

Antwort: Wir haben unsere gewohnten Abläufe ordentlich
durcheinandergewirbelt, an vielen Stellen sind Sondersendungen
dazugekommen. Zum Beispiel machen wir online auch ein Format
gemeinsam mit dem Schwäbischen Turnerbund, um ganz praktisch zu
zeigen, wie man auch zu Hause fit bleibt. Für die Kinder, die nicht
in die Kita oder die Schule gehen, bietet der SWR Sonderausgaben des
Tigerentenclubs. Mit unserem Bildungsprogramm zeigen wir, dass wir
einen Teil von dem auffangen, was gerade durch Schulschließungen
ausgelöst wird. Das kann auf Dauer keinen Unterricht ersetzen, aber
es füllt gerade die Lücke so gut es geht.

Frage: Berichten die Medien in Deutschland aus Ihrer Sicht
ausreichend und ausgewogen über das Corona-Thema? Vermissen Sie
etwas?

Antwort: Insgesamt finde ich, dass die deutsche Medienlandschaft
gerade ihrer Verantwortung gerecht wird, angemessen zu berichten. Wir
haben den Ernst der Lage erkannt und achten darauf, weder zu
beschwichtigen noch zu verunsichern. Je länger die Einschränkungen
von Corona dauern, desto mehr werden die Menschen natürlich auch das
Bedürfnis nach Normalität und Zerstreuung haben. Dafür bieten wir in

der ARD-Mediathek und der Audiothek genügend «Futter».

Frage: Die Abrufzahlen der Online- und Mediathek-Angebote sind sehr
stark gestiegen. Beschleunigt die Corona-Krise die Digitalisierung
der Medien und der Gesellschaft?

Antwort: Das kann sein. Genauso gut kann es in dieser Situation aber
auch eine Renaissance des linearen Fernsehens und des Radios geben.
Es hat auch eine gemeinschaftsstiftende Wirkung, wenn Millionen
Menschen zeitgleich ein Programm sehen oder hören - die «Tagesschau»

ist das beste Beispiel. Die Folgen der Krise für die Mediennutzung
kann im Moment niemand absehen. Das ist da für mich momentan auch
nachrangig. Als Medienhaus müssen wir der gesamten Bevölkerung, allen
Altersgruppen und Milieus unsere Angebote dort machen, wo sie sie
haben möchten. Das kann über UKW sein, als Instagram-Posting oder im
SWR-Fernsehen. Aber keine Frage: Gerade bei der riesigen Nachfrage in
der Krise wird deutlich, dass wir noch schneller auf digitalen
Plattformen zulegen müssen.

Frage: Wie geht es Ihnen persönlich? Worauf freuen Sie sich am
meisten, wenn die Krise mal vorbei sein sollte?

Antwort: Ich bin ein geselliger Mensch. Deshalb freue ich mich
darauf, meine Familie und Freunde treffen zu können, ohne jede
Bedenken Menschen zu umarmen und es nach der Krise beim Feiern
endlich mal wieder krachen zu lassen. Wir werden ein neues
Bewusstsein dafür entwickeln, wie wichtig das ist: zusammenzuhalten -
in der Familie, im Freundeskreis, aber auch als Gesellschaft.

ZUR PERSON: Kai Gniffke ist seit vergangenem September Intendant des
Südwestrundfunks. Der 59-Jährige war zuvor als Chefredakteur von
ARD-aktuell in Hamburg verantwortlich für die «Tagesschau» und
«Tagesthemen».