Abe zieht Verschiebung von Olympischen Spielen in Betracht

Lange haben sich die Olympia-Verantwortlichen geziert, den Tatsachen
der Coronavirus-Pandemie ins Auge zu sehen. Aber so langsam sickert
die Erkenntnis durch, dass eine Verschiebung der Olympischen
Sommerspiele vielleicht doch sinnvoll und gesund wäre.

Tokio (dpa) - Der japanische Premierminister Shinzo Abe hat erstmals
eine Verschiebung der Olympischen Sommerspiele wegen der Corona-Krise
in Betracht gezogen. Vor dem Parlament in Tokio sagte er am Montag,
dass damit gerechnet werden müsse. Von einer Absage könne aber keine
Rede sein. «Es ist schwierig, Spiele unter diesen Umständen
abzuhalten, wir müssen über eine Verschiebung entscheiden, wobei die
Gesundheit der Athleten oberste Priorität hat», sagte Abe. Die
endgültige Entscheidung aber liege beim Internationalen Olympischen
Komitee (IOC).

Das IOC will binnen von vier Wochen Klarheit über eine mögliche
Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio schaffen. Das
Internationale Olympische Komitee setzte sich am Sonntag nach einer
Telefonkonferenz der Exekutive diese Deadline, schloss aber
gleichzeitig eine Komplett-Absage der Sommerspiele aus. Das teilte
das IOC am Sonntagabend mit, nachdem der Druck bezüglich einer
Entscheidung immer größer geworden war.

«Menschenleben haben Vorrang vor allem, auch vor der Austragung der
Spiele. Das IOC will Teil der Lösung sein», sagte IOC-Chef Thomas
Bach. Er wünsche sich, dass sich die Hoffnung, die so viele Athleten,
Nationale Olympische Komitees und internationalen Verbände aus allen
fünf Kontinenten geäußert hätten, erfüllt werden. «Dass am Ende

dieses dunklen Tunnels, durch den wir alle gemeinsam gehen, ohne zu
wissen, wie lange er noch dauert, die olympische Flamme ein Licht
sein wird, sagte Bach.

Denkbar ist eine Verschiebung der vom 24. Juli bis 9. August
geplanten Sommerspiele auf den Herbst, auf Sommer 2021 oder gar auf
2022. Am wahrscheinlichsten dürfte die Verlegung um ein Jahr sein,
was angesichts des fixierten Terminkalenders im Weltsport auch eine
monumentale Entscheidung völlig neuer Dimension wäre. Im Sommer 2021
sind zum Beispiel die Weltmeisterschaften der Schwimmer in
Fukuoka/Japan und die der Leichtathleten in Eugene/USA vorgesehen.
Gegen 2022 spricht, dass in dem Jahr die Olympischen Winterspiele im
Februar und die Fußball-WM im November und Dezember stattfinden.

Eine Olympia-Verschiebung wäre eine historische Entscheidung, doch
eine Absage wie es sie in der Vergangenheit schon einige Male
gegeben, wird es wegen des grassierenden Virus nicht geben. Im Ersten
Weltkrieg wurden die Sommerspiele 1916 (Berlin), im Zweiten Weltkrieg
die Sommerspiele 1940 (Tokio) und 1944 (London) sowie die
Winterspiele 1940 (Cortina d'Ampezzo) und 1944 (Sapporo) gestrichen.

Zwar hat Japan das Virus gut in den Griff bekommen, allerdings greift
die Pandemie weltweit immer mehr um sich. Eine Sportveranstaltung mit
rund 11 000 Athleten und Tausenden an Zuschauern, Betreuern und
Journalisten wären kaum zu verantworten. «Es gibt für Viren quasi
kein tolleres Fest als so eine Veranstaltung», hatte etwa Virologe
Alexander Kekulé in der ARD-«Sporschau» gewarnt.

Ungeachtet der Pandemie hielten IOC und Gastgeberland noch am
Wochenende an den olympischen Ritualen der Spiele-Vorbereitung fest.
Am Samstag kamen mehr als 55 000 Menschen zum Bahnhof Sendai im
Nordosten von Japan, um das dort angekommene Olympische Feuer in
Empfang zu nehmen. Dabei hatte die Regierung die Öffentlichkeit
aufgefordert, große Versammlungen zu vermeiden.