Musik als Zeichen in der Krise - ««Ode an die Freude» vom Balkon aus

Die Corona-Epidemie trifft auch die Musikszene hart. Konzerte werden
verschoben, Opern abgesagt. In Italien machen viele Musiker sich und
anderen Mut mit Gesangseinlagen vom Balkon aus. Deutsche Künstler
nehmen sich nun ein Beispiel - mit einem verbindenden Musikstück.

Stuttgart (dpa) - Zwischen Mailand und Sizilien erklingt seit Beginn
der Corona-Epidemie die Musik von Balkonen und aus Fenstern, Menschen
singen und musizieren gegen die Krise. Die Italiener machen es vor -
jetzt ziehen die Deutschen gemeinsam nach. Profimusiker und
Hobbyspieler haben am Sonntagabend zeitgleich zum Instrument
gegriffen und vor allem von ihren Privatwohnungen aus in einer Art
gemeinsamen Konzert Ludwig van Beethovens «Ode an die Freude»
angestimmt.

Posaunen in Gütersloh und Streicher in Ludwigslust, eine musizierende
Familie auf einem Balkon in Weimar, der Bratschist der Dresdner
Philharmonie und Querflöten und Trompeter in einem Bonner
Mehrfamilienhaus, Klavierspiel, Akkordeon und Gesang auch an
zahlreichen anderen Orten. ««Alle Menschen werden Brüder» heißt e
s im
Lied, das können wir in diesen Tagen alle brauchen», sagte Dirk
Kaftan, Generalmusikdirektor der Stadt Bonn und des Beethoven
Orchesters Bonn, im WDR-Fernsehen. «Wenn man den Geist mitnimmt in
dieser schweren Zeit, dann ist das ja auch schon mal 'was wert.»

«Freude schöner Götterfunken» hieß es unter anderem auch an viele
n
Orten in Stuttgart, wo Musiker des Staatsorchesters ebenso wie
Mitglieder der Stuttgarter Philharmoniker und des Kammerorchesters
Stuttgart musizierten. «Wenn weder Opernaufführungen noch Konzerte
mit einem Livepublikum möglich sind, müssen wir zu anderen Mitteln
greifen», erklärte Stuttgarts Generalmusikdirektor Cornelius Meister
den Auftritt seiner Künstler. Nach dem Vorbild des italienischen
«Flashmob sonoro» sei die Aktion ein «Zeichen für Solidarität und

Lebensfreude».

Bundesweit wurden zahlreiche Auftritte gefilmt und im Internet
geteilt. In Freiburg ernteten Mitglieder des Barockorchesters nach
ihrem Kurzauftritt in einem Hinterhof im Stadtteil Wiehre tosenden
Applaus von den Menschen aus den umliegenden Häusern. In Ludwigslust
(Mecklenburg-Vorpommern) griffen die Schwestern Friederike und Marie
(14 und 20) gemeinsam zu den Geigen. Sie wollten «dem einen oder
anderen, der es vielleicht hört, eine Freude machen», sagten sie,
bevor sie auf den Balkon traten und musizierten. Das Finalwerk aus
Beethovens 9. Symphonie ist die «Hymne Europas».

Mit ähnlichen Initiativen machten auch weitere Sängerinnen und Sänger

aus der Not eine Tugend. In sogenannten Balkonkonzerten unterhalten
sie zumindest ihre Nachbarn. Ebenfalls am Sonntag begann im
Wohnzimmer der Künstlerin Mathea ein Konzert, sie streamte es live
via Instagram und gab im Laufe des Abends weiter an Michael Schulte,
der lediglich über die Kommentare Kontakt zu seinen Fans halten
konnte. «Es ist komisch, wenn es so still ist, wenn man fertig ist
mit einem Song», sagte er in die Handykamera. Angekündigt waren zudem
Wohnzimmer-Konzerte von Lotte, Nico Santos, Álvaro Soler, Max
Giesinger und Lea, ehe Johannes Ording aus Hamburg die letzten Songs
anstimmen sollte.

Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) nimmt sich das
italienische Balkonsingen zum Vorbild. Sie lädt dazu ein,
allabendlich um 19 Uhr «Der Mond ist aufgegangen» zu singen oder zu
musizieren. «Jeder und jede kann mitmachen, denn singen verbindet und
tut gut», warb die EKD für ihre Aktion.