Italiens verzweifelter Kampf gegen das Coronavirus Von Annette Reuther, dpa

Italien sehnt sich in der Corona-Krise nach einem Hoffnungsschimmer.
Doch der mag trotz aller Maßnahmen nicht wirklich kommen. Die
Regierung zieht nun einen weiteren Stecker und fährt die Produktion
des Landes herunter. Wie lange helfen Durchhalteparolen noch?

Rom (dpa) - Fast 800 Tote an einem einzigen Tag. So viele wie seit
dem Ausbruch der Corona-Krise nicht. Die Italiener müssen verzweifelt
zusehen, wie alle drastischen Maßnahmen gegen eine weitere
Ausbreitung des Virus vorerst keine Erfolge bringen. «Es ist die
schwerste Krise für das Land seit dem Zweiten Weltkrieg», sagte
Ministerpräsident Giuseppe Conte am Samstag. Angesichts immer neuer
Rekordwerte bei den Toten und Infizierten geht das Land einen
weiteren, extremen Schritt: Die gesamte nicht-lebenswichtige
Produktion wird geschlossen.

Bis zum 3. April sollen in der drittgrößten Volkswirtschaft der
Euro-Zone alle Firmen und Fabriken dichtbleiben, die nicht essenziell
wichtig für das tägliche Leben sind. Am Sonntag meldete der
Zivilschutz 651 zusätzliche Tote. Sehr viel, aber immerhin weniger
als am Vortag. Man hoffe, dass sich das in den nächsten Tage
fortsetze, sagte Zivilschutzchef Angelo Borrelli.

«Der Tod so vieler Mitbürger ist ein Schmerz, der täglich aufflammt
»,
sagte Conte. «Es sind nicht nur Zahlen. Sondern die, um die wir
trauern, sind Menschen, es sind Geschichten von Familien, die ihre
liebsten Angehörigen verlieren.» Das Land hatte am Samstag an nur
einem Tag fast 800 Tote vermeldet, ein neuer trauriger Rekord.
Insgesamt starben bis Samstag fast 5000 Menschen. In der besonders
stark betroffen Lombardei ist die Versorgung in Krankenhäusern
zusammengebrochen. In manchen Gegenden weiß man gar nicht mehr, wohin
mit all den Toten.

Auch deshalb verkündete Conte nun einen «weiteren Schritt», der das
Land zum fast kompletten Stillstand bringt. Alle Betriebe, «die nicht
entscheidend und unerlässlich» für die notwendigsten Güter und
Dienstleistungen sind, müssen schließen. Nur Supermärkte, Banken,
Post und Apotheken sowie Tabakläden sind weiter ausgenommen. Bei den
Öffnungszeiten von Supermärkten gebe es keine Einschränkungen,
betonte Conte. Doch seit Tagen werden die Schlangen vor den Läden
immer länger, viele Menschen haben Angst, dass bald alles zu ist.
Arbeiten darf unter anderem die Lebensmittel- und Transportbranche
sowie die Entsorgungs- oder Energieindustrie. Die Textilindustrie
darf zum Beispiel nur noch arbeiten, wenn es sich um Arbeitskleidung
handelt.

Seit 10. März gelten in dem Land bereits Ausgangssperren, viele Büros
haben auf Homeoffice umgestellt. Aber selbst in der Lombardei gingen
einige noch zum Arbeiten. «Unser Opfer, zu Hause zu bleiben, ist
minimal, wenn man es mit den Opfern vergleicht, die andere Mitbürger
in den Krankenhäusern erbringen», sagte Conte. Die wirtschaftlichen
Schäden für das hoch verschuldete Land sind jetzt schon unermesslich.

Viele Italiener sind ermüdet von der Krise, deprimiert. «Wir geben
unsere liebsten Gewohnheiten auf, wir tun es, weil wir Italien
lieben», sagte Conte. Aber gemeinsam werde man es schaffen - ein
Schlachtspruch, an den viele langsam nicht mehr glauben. Mittlerweile
ist es strikt untersagt, ins Grüne zu gehen oder Spaziergänge zu
machen. Joggen ist in der Lombardei komplett verboten - die einzige
Möglichkeit, mit der sich viele Menschen noch eine Ausgleich
verschafften. Doch weil die Zahl der Infizierten immer weiter steigt
und die Kurve nicht merklich abflacht, hatten vor allem
Regionalpolitiker aus dem Norden dazu aufgerufen, «das ganze Land zu
schließen». In der am stärksten betroffenen Provinz Bergamo müssen

Militärwagen Särge in andere Städte zum Verbrennen schaffen.

Italien rätselt, warum in ihrem Land so viele Menschen sterben. Nicht
mal China hatte so hohe Zuwachsraten pro Tag gemeldet. Bis Sonntag
waren in Italien offiziell 59 138 Menschen infiziert und 5476
gestorben. In Deutschland waren es mehr als 24 100 Infektionen und
etwa 90 Tote.

Für die hohe Sterberate in Italien könnte es mehrere Gründe geben.
Experten gehen davon aus, dass die Dunkelziffer bei den Infizierten
viel höher ist als angegeben, viele mild oder symptomlos verlaufende
Fälle werden nicht erfasst. Viele Menschen werden nicht getestet.

Italien hat eine der ältesten Bevölkerungen weltweit. Die meisten
Toten waren ältere Menschen. Allerdings ist die Bevölkerung in
Deutschland auch nicht wesentlich jünger. Aber viele Großeltern
wohnen in Italien mit ihren Kindern und Enkeln im Haus oder sind in
das tägliche Leben eingebunden. So sind Ansteckungen einfacher. Auch
gelten die überlasteten Krankenhäuser in der Lombardei als Problem,
weil sich dort Ansteckungen schnell verbreitet haben könnten.

Zivilschutzchef Borrelli betonte, dass bei den erfassten Verstorbenen
die Todesursache nicht abschließend geklärt sei: Also ob die Menschen

nur an Covid-19 starben oder ob der Grund eine andere Krankheit war.
Die allermeisten Opfer sind über 70 Jahre alt, viele litten an einer
oder mehreren Krankheiten, zum Beispiel an Diabetes, Krebs oder
Atemwegsproblemen.