Polizei muss vereinzelt gegen Menschenansammlungen einschreiten

Auf den Samstag sollte es ankommen, hatte Ministerpräsident
Kretschmann gewarnt. Eine Chance wollte er noch geben, damit sich
auch die Uneinsichtigen an die Regeln im Kampf gegen das Coronavirus
halten. Hat der Appell gewirkt?

Stuttgart (dpa/lsw) - Die strikten Einschränkungen im Südwesten wegen
des Coronavirus werden nach Eindrücken der Polizei vom Wochenende
weitgehend eingehalten. Zu größeren Menschenansammlungen sei es nur
vereinzelt gekommen - öffentliche Corona-Partys seien nicht mehr
festgestellt worden. Das teilte das Innenministerium am Sonntag mit.

Bis zum Sonntagnachmittag habe die Polizei landesweit aber noch 331
Verstöße gegen die Bestimmungen des Bundesinfektionsschutzgesetzes
festgestellt. Es seien 317 Strafverfahren und zwölf Verfahren wegen
Ordnungswidrigkeiten eingeleitet worden. Gerade jüngeren Menschen sei
oft noch nicht klar, wie notwendig die Maßnahmen seien, hieß es.

Zuletzt hatte die grün-schwarze Landesregierung von Ministerpräsident
Winfried Kretschmann (Grüne) am Freitag schärfere Regeln beschlossen,

um die Unvernünftigen zur Raison zu bringen. Menschenansammlungen von
mehr als drei Personen auf öffentlichen Plätzen sind nicht mehr
erlaubt. Ausnahmen gibt es für Familien. Gaststätten und Restaurants
müssen seit Samstag schließen. Essen darf aber mitgenommen werden.

Kretschmann wollte sich am Sonntagnachmittag (17.00 Uhr) nach einer
Schalte mit Kanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten zur
Lage in der Corona-Krise in Baden-Württemberg äußern.

In Freiburg gilt ein strikteres Betretungsverbot für Gruppen auf
öffentlichen Plätzen. Auch daran haben sich die Bürger im Großen un
d
Ganzen gehalten. Es gab aber Ausnahmen, wie die Polizei am
Sonntagnachmittag mitteilte. Insgesamt wurden rund 50 Verstöße
festgestellt. Es wurden in einem niedrigen zweistelligen Bereich
Straf- und Bußgeldverfahren eingeleitet. Die Polizei musste in
Freiburg zudem die Schließung von mindestens zehn Läden durchsetzen.

Um Klarheit in der Frage zu bringen, welche Unternehmen schließen
müssen, hat das Wirtschaftsministerium eine Auslegungshilfe mitsamt
einer Liste von Ausnahmen veröffentlicht. Vollständigkeit könne
jedoch angesichts der Vielfalt von Betrieben und Branchen nicht
garantiert werden, hieß es: Die Liste werde von der Landesregierung
kontinuierlich aktualisiert. Zu jenen, die schließen müssen, gehören

nun auch Friseure, Blumenläden und Massagestudios, während
beispielsweise Hofläden und Kioske weiterhin Waren anbieten können.

In Südwesten steigt die Zahl der Infektionen mit dem Coronavirus
rasant. 23 infizierte Menschen sind mit Stand Samstagabend bislang
gestorben, mehr als 3800 haben sich mit dem Virus angesteckt.

Besonders schlimm wütet das Virus im benachbarten Elsass in
Frankreich. Baden-Württemberg hat angeboten, schwerkranke Patienten
aus Frankreich in Kliniken aufzunehmen. Nach Angaben eines
Regierungssprechers gilt das Angebot zeitlich befristet und für eine
begrenzte Zahl von Patienten. Die ersten Patienten aus dem Elsass
kamen laut Wissenschaftsministerium am Wochenende im Südwesten an.

In der Autoindustrie wird die Coronavirus-Krise nach Ansicht von
Daimler-Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht tiefe Spuren
hinterlassen. «Es soll jetzt niemand glauben, dass das in zwei Wochen
erledigt ist.» Was die Regierung derzeit unternehme, um das
öffentliche Leben herunterzufahren, sei richtig und notwendig. Aber
als Folge werde sich eine Wirtschaftskrise entwickeln.

Die Finanzhilfen für Unternehmen sollen nach den Worten von
CDU-Landtagsfraktionschef Wolfgang Reinhart zügig fließen. Ziel sei
es, dass das Programm des Landes an diesem Mittwoch stehe und die
Hilfen beantragt werden könnten. Insgesamt stünden kurzfristig 12,7
Milliarden Euro bereit. Davon kämen 6,2 Milliarden vom Land und wohl
6,5 Milliarden vom Bund. Der Landtag hatte am Donnerstag im
Eilverfahren die Weichen für das Hilfsprogramm des Landes gestellt.

FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke machte noch einmal
Druck: «Jeder Tag, an dem noch keine Hilfen beantragt werden können,

zählt.» Auch der SPD-Abgeordnete Boris Weirauch kritisierte: «Einma
l
mehr zeigt sich, dass Grün-Schwarz nur unter Druck in die Gänge kommt
und nach der Entscheidung des Landtags fast eine Woche braucht, bis
die angekündigten Finanzhilfen fließen können.»

Unterdessen wirbt die Landesregierung verstärkt für ihre
Handy-Warn-App «Nina». Normalerweise warnt die App bei Bränden,
Bombenfunden, Gefahrstoffaustritten, Stürmen, Unwettern oder
verschmutztem Trinkwasser. «Über die App weisen wir aber auch
ausführlich und aktuell auf alle wichtigen Warnungen rund um das
Coronavirus hin», sagte Innenminister Thomas Strobl (CDU).

Wegen der Corona-Krise wurden Gottesdienste am Sonntag im Internet
übertragen. So feierte der Freiburger Erzbischof Stephan Burger die
Messe im Freiburger Münster vor leeren Bänken. Burger appellierte an
die Solidarität und die gemeinsame Verantwortung aller Gläubigen.