«Haben keine Wahl»: Schach-Großmeister spielen um WM-Chance Von Georgios Souleidis, dpa

Die Sportwelt steht still, doch acht Schach-Großmeister müssen
einfach weiterspielen. Es geht um ihre Chance auf ein WM-Duell mit
Magnus Carlsen. Der Weltverband sieht sein Kandidatenturnier in der
Coronakrise auch als Chance.

Jekaterinburg (dpa) - Plötzlich brach um Schach-Großmeister Fabiano
Caruana leichte Panik aus. Wie in diesen Tagen üblich hatte das
medizinische Personal beim WM-Kandidatenturnier in Jekaterinburg das
Thermometer gezückt und bei allen acht Teilnehmern vor Beginn der
Partien Fieber gemessen. Die 37,1 Grad von Caruana gelten in Russland
als erhöhte Temperatur - und in Corona-Zeiten als Anlass für
Besorgnis. Erst nach Rücksprache mit der Turnierleitung durfte der
Top-Favorit aus den USA ans Brett. «Jeder ist extrem paranoid. Das
sind keine tollen Bedingungen zu spielen, aber wir haben keine Wahl»,
sagte der 27-Jährige.

Während die Sportwelt still steht, spielen östlich des Urals Caruana
und sieben weitere Herausforderer um das Recht, gegen den amtierenden
Weltmeister Magnus Carlsen aus Norwegen antreten zu dürfen. Der
Internationale Schachverband will sein Prestige-Turnier unbedingt
retten, noch bis 3. April soll es laufen. «Es gibt keine andere
Sportveranstaltung. Das ist eine großartige Möglichkeit für den
Schachsport», sagte Judit Polgar, die beste Schachspielerin der
Geschichte, im offiziellen Stream des Veranstalters.

Trotz der Corona-Pandemie gaben die Organisatoren eine pompöse
Eröffnungsfeier mit hunderten Gästen und einer Darbietung des
Bolschoi-Theaters. Nach offiziellen Angaben gibt es bisher
vergleichsweise wenig Infizierte in Russland. Die russischen Behörden
betonen seit Tagen, gut auf die Coronakrise vorbereitet zu sein.
Russland hat sich wie andere Länder weitgehend abgeschottet.

Die Spieler verzichteten trotzdem allesamt auf die Teilnahme an der
Gala. Zuschauer sind am Spielort nicht erlaubt, Millionen Fans
verfolgen die Partien im Internet. Champion Carlsen kommentiert mit
weiteren Großmeistern die Partien auf einer bekannten
Schach-Plattform, allerdings aus dem eigenen Heim.

Die Spieler selbst fühlen sich in einer Luxusherberge wie kaserniert.
«Sie verlassen kaum das Hotel», berichtete Maria Emelianowa, die als
eine der offiziellen Fotografinnen arbeitet. Dabei gilt ein langer
täglicher Spaziergang unter Spitzenspielern als absolutes Muss, um
sich die Beine zu vertreten und den Kopf freizubekommen.

Stattdessen flüchten einige Spieler in den Humor. Der für seine feine
Ironie bekannte Niederländer Anish Giri antwortete auf die Frage, wie
er sich vom Turnier ablenken würde: «Man kann sich nur mit Schach
ablenken, wenn man die vielen News über den Coronavirus liest.»

Ähnlich reagierte der Russe Jan Nepomnjaschtschi, der einen guten
Start ins Turnier erwischt hat: «Meine tägliche Routine ist, Anish
Giris Konten auf Twitter und Instagram zu checken, um neue Weisheiten
zu finden. Wenn ich keine Updates sehe, dann bin ich enttäuscht.»

Den besonderen Druck spürte zu Beginn des Turniers offenbar vor allem
Mitfavorit Ding Liren. Der Chinese musste sich nach seiner
vorzeitigen Anreise für zwei Wochen in Quarantäne begeben und verlor
prompt seine ersten zwei Partien. Dabei verzeichnet der chinesische
Livestream des Turniers gerade Rekordinteresse.

14 Spielrunden sind insgesamt vorgesehen, ehe der Sieger feststeht.
Ende des Jahres soll dann das WM-Duell gegen Schach-Superstar Carlsen
steigen, bei dem es um viele Millionen Euro gehen könnte. Doch wie
realistisch das wirklich ist, kann wohl derzeit nicht einmal ein
Schach-Genie beantworten.