) Der Transfermarkt in der Corona-Krise: Die Geier kreisen schon Von Klaus Bergmann, dpa

Der Fußball steht still - und die Zukunft des Profi-Zirkus ist
ungewiss. Die nächste Transferperiode kommt dennoch. Kaderplanung
wird zur großen Rechenaufgabe der Clubs. Was galt, gilt nicht mehr:
Topstars, Leihspieler, ablösefreie Profis - alles ist anders.

München (dpa) - Nur wenig ist gewiss in Zeiten der Corona-Pandemie,
die auch das globale Fußball-Business in Atem hält und bedroht. Wie
geht's weiter, in dieser Saison und erst recht danach? Was passiert
auf dem Transfermarkt? Dort scheint nur eines vorhersagbar: Die schon
in normalen Zeiten absurd anmutende Rekordablöse von 222 Millionen
Euro, die Paris Saint-Germain 2017 für den Brasilianer Neymar an den
FC Barcelona zahlte, dürfte nicht mal angetastet werden.

Gladbachs Manager Max Eberl glaubt, dass sich der Markt «enthitzen»
könnte. Geschäftsführer Oliver Mintzlaff vom finanzkräftigen
Bundesliga-Konkurrenten RB Leipzig erwartet eine Wechselperiode, die
«dramatisch» wird. «Wir werden ein Transferfenster haben wie noch nie

in der Vergangenheit», sagte Minzlaff im «Kicker».

Ex-Nationalspieler Michael Rummenigge, Bruder von Bayern-Chef
Karl-Heinz Rummenigge, prophezeite in einer Kolumne für den
«Sportbuzzer», dass es «so bald keine Vollzugsmeldungen bei
Transfers» geben werde - «schon gar nicht mit Ablösen in Höhe von 1
20
Millionen Euro oder mehr». Im dreistelligen Millionenbereich wurden
vor Corona noch Leverkusens Jungstar Kai Havertz (20) oder dessen
Nationalelfkollege Leroy Sané (24) von Manchester City taxiert. In
beiden Fällen galt und gilt der FC Bayern als Interessent.

Der Transfermarkt ist in Corona-Zeiten ein besonders spekulatives
Thema - mit vielschichtigen Aspekten. Wobei sich Entscheider in den
Clubs und der gesamten Branche im Gespräch meist nur hinter
vorgehaltener Hand konkret äußern. Es steht viel auf dem Spiel, und
der Solidargedanke funktioniert im Profigeschäft höchstens punktuell.
Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sprach das
offen aus: «Ehrlicherweise sind wir auch Konkurrenten.»

BEDEUTUNG DER TRANSFERGESCHÄFTE

In der Saison 2018/19 übertrafen die 18 Bundesligisten erstmals die
Umsatzmarke von vier Milliarden Euro. Im Wirtschaftsreport der
Deutschen Fußball Liga wurde ein Gesamterlös von 4 020 000 000 Euro
ausgewiesen. 675,1 Millionen Euro entfielen auf die Transfererträge,
ebenfalls Höchstwert. Bei der 2. Liga waren es 96,3 Millionen Euro.
Das zeigt, welche Bedeutung Kaufen und Verkaufen für die Clubs hat.

DIE GEISTERSPIEL-HOFFNUNG

Die Corona-Krise trifft alle großen Ligen in Europa. Die Einbußen
werden enorm sein. Geisterspiele sollen sie abmildern. Ein
wirtschaftlicher Schaden von 750 Millionen steht für die 36 deutschen
Erst- und Zweitligisten im Raum. Fast 400 Millionen Euro machen die
TV-Einnahmen aus. Denkverbote gibt es darum nicht mehr. Vielleicht
wird die Bundesligasaison irgendwann im Mai oder Juni fortgesetzt,
vielleicht auch nur in ein paar Stadien - verteilt über Deutschland.
Denn Spieltage kann man zerstückeln. Fußball Tag für Tag und zu
verschiedenen Anstoßzeiten. Einen echten Heimvorteil gibt es ohne
Zuschauer eh nicht. Personal- und Materialaufwand könnte man bei
übertragenden TV-Sendern, Ordnungspersonal etc. so begrenzen.

Liga-Chef Christian Seifert hat den Ausnahmezustand drastisch
skizziert: Ohne Geisterspiele müsse man sich «keine Gedanken mehr
machen, ob wir künftig mit 18 oder 20 Profi-Clubs spielen».

DIE SZENARIEN

Läuft der Fußballbetrieb in dieser Saison tatsächlich nochmal an,
wird das Minus bei jedem Club niedriger ausfallen als bei einem
Abbruch. Das hätte Einfluss auf die Zukunftsplanung, also auch auf
die nächste Transferperiode. «Die Bundesliga wird nach dem Virus ganz
sicher wieder florieren», sagte der frühere Werder-Manager Willi
Lemke im «Bild»-Interview. Planungssicherheit kehrt zurück - und dann

auch ein rascher Rückfall in alte Handlungsmuster? «Sicherlich wird
es vorübergehend eine Delle geben», glaubt der Sportökonom Christoph

Breuer von der Deutschen Sporthochschule Köln.

GROSSCLUBS UND TOPSTARS

Breuer erwartet, dass für Spieler der zweiten Kategorie wohl erstmal
nicht mehr die (überhöhten) Preise gezahlt werden wie zuletzt. Auch
nicht aus England, dem reichsten Fußballmarkt. «Die Preise für die
Topspieler werden vermutlich nicht so stark einbrechen», sagte der
Sportökonom zugleich der Deutschen Presse-Agentur. «Die wenigen
Superstars haben weiter einen so großen Wert für die Topclubs, dass
die Nachfrage bei den finanzkräftigen Clubs hoch bleiben wird.»

Im Ausland seien das «häufig Clubs mit Investoren, die womöglich die

finanzielle Krise auch ganz gut ausgleichen können», sagte Breuer.
Bundesliga-Krösus Bayern München und Borussia Dortmund konkurrieren
nicht nur in der Champions League ständig mit Real Madrid, Barcelona,
FC Liverpool, Paris, Juventus Turin oder Manchester City - sondern
auch um Topspieler. Leverkusen sollte Havertz (Vertrag bis 2022) «für
50 oder 60 Millionen nicht abgeben», meint Michael Rummenigge: «Wenn
alles überstanden ist und die Gelder irgendwann tatsächlich wieder
fließen sollten, können sie ihn immer noch verkaufen.»

DIE KADERPLANUNG

Werder Bremens Geschäftsführer Klaus Filbry prognostiziert, dass es
in diesem Sommer «deutlich schwieriger sein wird, Transfererlöse zu
erzielen». Kaderplanung wird zur Kniffelübung, und für etliche Clubs

zur Überlebensstrategie. Aufgeblähte Kader müssen abgespeckt werden.

Bei Aufsteiger Union Berlin stehen aktuell über 30 Spieler auf der
Gehaltsliste. Spitzenverdiener dürften zur Kostenverringerung auf dem
Markt angeboten werden. Geld bringen aber nur die besten Spieler, was
wiederum die sportliche Substanz aushöhlt. Über klammen Clubs kreisen
schon die Geier, ist in der Branche zu hören. Nach Corona schaut eh
wieder jeder Verein auf sich. Wer finanziell gut durch die Krise
kommt, bedient sich dann halt beim Ausverkauf der anderen.

AUSLAUFENDE VERTRÄGE

Eine «dreistellige Anzahl von Verträgen» läuft nach Angaben von
Werder-Finanzchef Filbry in der «Süddeutschen Zeitung» bei den Erst-

und Zweitligaclubs zum 30. Juni aus. Sie sind damit ablösefrei zu
haben. Das ist normalerweise ein Vorteil für die Profis. Schalkes
Torwart Alexander Nübel hat bei seinem schon im Januar fixierten
Wechsel zum FC Bayern finanziell davon noch profitiert.

Jetzt verschlechtert sich die Verhandlungsposition vieler Profis.
Welcher Verein verpflichtet in der Krisenlage Spieler? Es droht
Arbeitslosigkeit. Gerade Clubs aus dem finanziellen Mittelbau - und
erst recht Zweitligisten - werden sich erstmal auf das vorhandene
Personal fokussieren müssen und auf Transfererlöse hoffen.

DIE LEIHSPIELER

Leihspieler können Segen und Fluch zugleich sein. Wer einen Spieler
nur ausgeliehen hat, kann ihn am 30. Juni einfach zurückgeben an den
Stammverein. Der FC Bayern wird Philippe Coutinho also eher dankend
zum FC Barcelona zurückschicken statt die Kaufoption von über 100
Millionen Euro zu ziehen. Fixe Kaufverpflichtungen sind ein Problem:
Steigt Werder Bremen nicht ab, müssen die ausgeliehenen Ömer Toprak
(5 Mio) und Leonardo Bittencourt (7 Mio) von Dortmund bzw. Hoffenheim
fest abgenommen werden, was die beiden Clubs freuen dürfte. Manche
Vereine haben aus Leihspielern auch ein - oftmals lohnendes -
Geschäftsmodell gemacht. Jetzt müssen sie einkalkulieren, viele im
Sommer zurücknehmen zu müssen und erhebliche Kosten zu tragen.

DIE AUSSTIEGSKLAUSELN

Festpreise, zu denen Profis mit längeren Vertragslaufzeiten von Jahr
zu Jahr wechseln können, sind wesentliche Elemente im Management der
Clubs. Beispiel: 60 Millionen Euro für Abwehrspieler Dayot Upamecano
(21), der bei RB Leipzig bislang eine tolle Saison spielte, waren
eine Summe, die Topclubs in ganz Europa anlockte. Aber wer zahlt den
Sachsen jetzt noch so viel für den Franzosen, der in einem Jahr -
also wohl nach Corona - ablösefrei auf dem Markt zu haben sein wird?