Verschiebung der Olympischen Spiele? - Eine historische Entscheidung Von Stefan Tabeling, dpa

Das Handeln des IOC sei nicht von finanziellen Interessen bestimmt.
Aufgrund von Rücklagen und Ausfallversicherungen kann das IOC nach
eigenen Angaben eine Verschiebung oder Absage der Olympischen Spiele
verkraften. Doch warum versperrt sich Thomas Bach einer Diskussion?

Berlin (dpa) - Die Rufe nach einer Verschiebung der Olympischen
Spiele in Tokio werden lauter. IOC-Präsident Thomas Bach verweist
indes darauf, dass zum jetzigen Zeitpunkt drastische Maßnahmen noch
nicht notwendig seien. Bis zur Eröffnungsfeier bleiben dem
Internationalen Olympischen Komitee noch gut vier Monate. Das
Zeitfenster für eine derart historische Entscheidung ist trotzdem
begrenzt. Es gibt viele Gründe für eine sofortige Verschiebung der
Sommerspiele, aber auch für ein Festhalten an den Olympia-Plänen.

WAS FÜR EINE SOFORTIGE VERSCHIEBUNG SPRICHT:

GESUNDHEIT: Gerade in den Mannschaftssportarten ist gemeinsames
Training wegen der Ansteckungsgefahr aktuell kaum möglich. Einige
Athleten befinden sich sogar in Quarantäne, darunter mehrere deutsche
Handball-Nationalspieler. Auch wird die Pandemie bis zur
Eröffnungsfeier am 24. Juli kaum weltweit unter Kontrolle sein. Bei
den Spielen kommen aber rund 11 000 Athleten und auch viele Tausend
Fans, Betreuer und Journalisten aus der ganzen Welt zusammen - viele
von ihnen im olympischen Dorf. Es drohen neue Infektionen und
womöglich neue Ansteckungswellen bei der Rückkehr aus Tokio. «Es gibt

für Viren quasi kein tolleres Fest als so eine Veranstaltung», sagte
Virologe Alexander Kekulé in der ARD-«Sportschau».

TRAINING: Viele Athleten, vor allem in Westeuropa und den USA, sind
beim Training stark eingeschränkt. Sporthallen und Schwimmbäder sind
mitunter geschlossen, es gibt in vielen Ländern Ausgangssperren.
Training in den eigenen vier Wänden, wie etwa auf Hometrainern oder
Laufbändern ist alles andere als optimal. Dabei beginnt gerade jetzt
für viele Athleten die entscheidende Vorbereitungsphase auf Olympia.
Dagegen kehren andere Länder wie China nach Abklingen der Epidemie
wieder in den geregelten Alltag zurück. Gleiche
Wettbewerbsbedingungen sind kaum mehr gegeben.

DOPINGKONTROLLEN: In vielen Ländern herrscht ein Einreisestopp. Die
Welt-Anti-Doping-Agentur kann kaum mehr für regelmäßige Kontrollen
sorgen. Was ist etwa mit Russland, das in der Vergangenheit schon in
zahlreiche Dopingskandale verstrickt war und seine Grenzen für
Ausländer dicht gemacht hat? Oder China, das bei einer Einreise eine
14-tägige Quarantäne vorsieht? «Ich habe Angst, dass schwarzen
Schafen jetzt Tür und Tor geöffnet ist», sagte der zweimalige
Ironman-Weltmeister Patrick Lange der «Frankfurter Rundschau».

OLYMPIA-QUALIFIKATION: Erst etwas mehr als die Hälfte der Sportler
haben sich für Olympia qualifiziert. Viele Qualifikationsturniere
sind bereits abgesagt worden oder sollen kurz vor den Sommerspielen
nachgeholt werden. IOC-Chef Thomas Bach hat zwar großzügige
Härtefall-Regelungen angekündigt, aber was ist mit
Mannschaftssportarten wie Handball? Bei den Männern haben erst sechs
von zwölf Mannschaften ihre Teilnahme sicher. Im Juni sollen nun im
Hauruck-Verfahren die Qualifikationsturniere nachgeholt werden. Mit
größtenteils Mannschaften aus Europa, bei denen aktuell alles still
steht.

WAS GEGEN EINE SOFORTIGE VERSCHIEBUNG SPRICHT:

ZEITRAHMEN: In China ist um die Jahreswende herum das Virus
ausgebrochen. Inzwischen zählt das Land - auch dank der sehr strikten
Maßnahmen - kaum mehr Neuinfektionen, also gut drei Monate nach
Ausbruch der Epidemie. Wäre der Zeitrahmen auch auf andere Länder wie
in Europa übertragbar, wäre ein geregelter Sportbetrieb tatsächlich
denkbar.

TERMINPROBLEME: Olympische Spiele wären nicht so einfach um ein Jahr
zu verschieben wie eine Fußball-EM. Große Terminkollisionen gab es
für die UEFA-Verantwortlichen nicht, lediglich die neu eingeführte
Club-Weltmeisterschaft stand im Sommer 2021 an. FIFA-Chef Gianni
Infantino machte aber mit einer Verschiebung der Club-WM den Weg
frei. In Sachen Olympia sind dagegen viele Welt- und
Europameisterschaften, ganz zu schweigen von Weltcups oder sonstigen
Qualifikationsturnieren, auf den olympischen Zeitplan abgestimmt.

SYMBOLWERT: Olympia setzt jeher auf die Kraft der Symbole. Olympische
Spiele nach Überstehen der Pandemie könnten auch ein Zeichen des
Aufbruchs sein. «Stellen Sie sich vor, was das für ein positives
Zeichen für die Welt wäre, wenn es uns gelingt, die Olympischen
Spiele als erste Veranstaltung nach dieser weltweiten Krise
stattfinden zu lassen», sagte etwa Kanu-Verbandschef Thomas Konietzko
der Zeitung «Neues Deutschland».

EXISTENZ: Viele Sportler haben Freiberuflerstatus, müssen ihre
Trainingslager, Betreuer oder Reisen selbst finanzieren, wie etwa die
Beachvolleyballer. Diese Kosten würden bei einem neuen Anlauf 2021
noch einmal entstehen, während auf der Einnahmenseite
Wettkampfprämien und womöglich auch Sponsorengelder ausbleiben. Es
droht den Sportlern eine finanzielle Schieflage.