Händewaschen mit Hamilton: Rettungspakt für Formel 1 Von Christian Hollmann, dpa

Die Corona-Pandemie zwingt auch die Formel 1 zu einem Kurswechsel.
Nach dem Chaos um die Renn-Absage von Australien beschließen die
Bosse einen Rettungsplan mit kräftigen Einschnitten. Die Sorgen um
die Zukunft erreichen auch den Weltmeister.

London (dpa) - Mit ernstem Gesicht steht Lewis Hamilton am
Waschbecken. Ein paar mahnende Worte zur Corona-Pandemie in die
Kamera, dann macht der Formel-1-Weltmeister den Wasserhahn an. «Es
ist sehr, sehr ansteckend, also nehmt es ernst», sagt der 35-Jährige,
nachdem er sich gewissenhaft die Hände gewaschen hat. Hamiltons kurze
Video-Anleitung ist nur ein Sinnbild dafür, wie sich auch in der
vermeintlichen Glitzerwelt der Formel 1 gerade die Prioritäten
verschoben haben. Auch für die Rennserie geht es derzeit weniger um
Zeitenjagd und Reifenmischungen, sondern eher ums Überleben.

Am Wochenende meldet sich Hamilton erneut zu Wort, weist Sorgen um
seine eigene Gesundheit zurück. Zu Gerüchten um eine mögliche
Infektion mit dem Coronavirus schreibt der Mercedes-Pilot bei
Twitter: «Ich wollte Euch wissen lassen, dass es mir gut geht, ich
mich gesund fühle und zweimal pro Tag trainiere. Ich habe null
Symptome.» Vor zwei Wochen war der Brite bei einer Veranstaltung mit
Schauspieler Idris Elba und Sophie Grégoire Trudeau, der Frau des
kanadischen Premierministers Justin Trudeau, gewesen. Beide hatten
später mitgeteilt, dass sie mit Sars-CoV-2 infiziert sind.

Im Kern der Formel 1 ist die Coronakrise schon weit vor Hamiltons
beruhigender Botschaft angekommen. Als ein Mitarbeiter des
McLaren-Rennstalls in der Vorwoche positiv auf das Virus getestet
wird, muss auch die Königsklasse des Motorsports die Vollbremsung
machen. Wenige Stunden vor dem Start des ersten Trainings beim
Saisonauftakt in Melbourne - alle Teams sind dafür um die halbe Welt
gereist - wird der Große Preis von Australien abgesagt.

Bis dahin waren die Krisen-Manager der Formel 1 immer wieder stur
falsch abgebogen. Doch nach dem Chaos von Melbourne finden die
Entscheider des PS-Spektakels den richtigen Kurs. In mehreren
Schaltkonferenzen wird ein Notfall-Paket aktiviert, dass die Zukunft
des Vollgas-Zirkus sichern soll. «Wir sind sehr dankbar für den
kooperativen Charakter der Diskussionen und den vollkommenen
vereinten Gedanken aller Beteiligten, 2020 Rennen zu fahren, sobald
die aktuelle globale Lage es zulässt», übermittelt Formel-1-Chef
Chase Carey.

Zuvor haben Geschäftsführung, Teambosse und Weltverband alle sieben
Rennen bis Ende Mai gestrichen, sogar das Glamour-Gastspiel in Monaco
wird es in diesem Jahr nicht geben. Dass kurz vorher Reifenpartner
Pirelli noch eine Mitteilung zu den vom Veranstalter nominierten
Gummimischungen für die Stadtrundfahrt durch Monte Carlo versendet,
bleibt eine schnell überholte Randnotiz.

Viel wichtiger sind die weiteren Beschlüsse der Chefetage. So wird
die nach langem Streit verordnete Regel-Revolution kurzerhand um ein
Jahr auf 2022 verschoben. Eigentlich sollten die Autos in der
nächsten Saison schwerer und etwas langsamer werden, auch eine
veränderte Aerodynamik war vorgesehen. Auf diese Weise wollen die
Regelhüter für mehr Überholvorgänge und Spektakel sorgen.

Doch fast alle scheuen jetzt die hohen Investitionen für die
Entwicklung neuer Boliden, nur Ferrari zögert lange mit der
Zustimmung zur Verschiebung der Reform. Im kommenden Jahr soll nun
weiter mit den aktuellen Autos gefahren werden, neben den Regeln für
das Chassis werden wohl auch weitere wichtige Bauteile eingefroren.

Zugleich einigen sich die Bosse darauf, dass die Budgetgrenze von 175
Millionen US-Dollar (157 Millionen Euro) pro Saison wie geplant im
kommenden Jahr greifen soll. Gedacht war sie eigentlich als Schutz
für die mittleren und kleineren Teams, die gegen die Finanzkraft des
Top-Trios Mercedes, Ferrari und Red Bull zuletzt chancenlos waren. Im
Angesicht der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise könnte nun aber
ein Kostenlimit durchaus auch im Sinne eines Branchenriesen wie
Mercedes sein, wenn beim Autobauer hausintern das Engagement in der
Formel 1 wieder auf den Prüfstand kommt.

«In den kommenden Wochen und Monaten müssen wir uns neuen
Herausforderungen stellen, die wir mit der gleichen Energie und
Entschlossenheit angehen werden, wie wir es auf der Rennstrecke
machen», schreibt Mercedes-Teamchef Toto Wolff in einem offenen Brief
an die Fans, die sich vorläufig mit virtuellem Motorsport begnügen
müssen.

Der eigentlich für Sonntag geplante Große Preis von Bahrain sollte
stattdessen am Abend als E-Sport-Wettfahrt im Internet ausgetragen
werden. Gleiches ist für die nächsten gestrichenen Renn-Wochenenden
in Vietnam (5. April), China (19. April), den Niederlanden (3. Mai),
Spanien (10. Mai) und Monaco (24. Mai) vorgesehen.

Ob die Formel 1 wirklich wie erhofft im Juni wieder die Motoren
heulen lassen und dann in einem Notprogramm mit möglichst vielen
Grand-Prix-Wochenenden ohne große Pausen bis Jahresende den nächsten
Weltmeister kürt, ist völlig unklar.

Vorerst bleibt daher auch dem gewieften Motorsport-Manager Wolff nur,
sich dem Wunsch seines Superstars Hamilton anzuschließen: «Bitte
bleibt sicher, folgt den Ratschlägen der Experten, haltet Abstand und
wascht eure Hände.»