Tief durchatmen: Wie die Corona-Krise Luft und Klima beeinflusst Von Petra Kaminsky, dpa

Die Covid-19-Pandemie beherrscht mit Schreckensmeldungen viele
Bereiche des Lebens. Wird der Virus-Ausbruch auf längere Sicht auch
positive Folgen haben? Zum Beispiel für die Qualität der Luft in den
Städten und fürs Klima?

Berlin/Rom (dpa) - Der Flug in den Osterurlaub fällt wegen der
Corona-Krise aus. Autoreisen schnell übers Wochenende zur See und
Bustouren - all das gehört in eine andere Zeit, in die Zeit vor
Corona. Große Fahrzeugbauer wie VW, BMW und Daimler schließen
vorübergehend ihre Werke. Optimisten sagen, neben den schlimmen
gesundheitlichen Folgen der Covid-19-Pandemie und
Wirtschaftseinbrüchen gebe es auch gute Seiten: Die Luft in den
Städten wird sauberer, wenn weniger produziert und gefahren wird. Das
helfe womöglich gar dem Klima.

Was ein Stopp für Autos und Fabriken bewirken kann, zeigte zuerst die
US-Raumfahrtbehörde Nasa vor rund drei Wochen mit Satellitenbildern
aus China. Dort wurde die Region um die Metropole Wuhan nach dem
ersten Ausbruch von Sars-CoV-2 im Januar unter Quarantäne gestellt.
Von Wuhan aus habe sich der Rückgang des Ausstoßes von
Stickstoffdioxid, kurz NO2, über weitere Regionen Chinas
ausgebreitet, erläuterten die Experten.

In China verzeichnete das Nationale Statistikamt zudem für die ersten
zwei Monate 2020 einen um rund sechs Prozent geringeren Abbau des
Energieträgers Kohle im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. US-Forscher
vom Center for Research on Energy and Clean Air berichteten über
einen sinkenden Ausstoß des klimaschädlichen Verbrennungsgases
Kohlendioxid, kurz CO2, durch den Shut-Down in dem asiatischen
Riesenland.

Unlängst meldete die Europäische Raumfahrtagentur Esa dann ebenfalls
für Norditalien Rückgänge des Gases NO2, das bei der Verbrennung
fossiler Stoffe wie Kohle und Öl etwa im Verkehr und bei der
Produktion entsteht. Italien ist in Europa am härtesten von dem Virus
getroffen. Das Mittelmeerland hat früher als andere EU-Staaten
Ausgangssperren verhängt und große Teile des öffentlichen Lebens
stillgelegt. In Städten wie Rom konnte man plötzlich freudig
durchatmen, nachdem es Anfang 2020 Smog gegeben hatte. Die Luft roch
nach Frühling statt nach Bussen und Mopeds.

Klima-Experten und Bundesumweltministerin Svenja Schulze mahnten
allerdings allgemein, dass ein kurzes Absinken der Schadstoffwerte
kein langfristiger Gewinn für den Klimaschutz sein müsse. Der
Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, sprach mit Blick auf
weniger Reisen in Deutschland von einem «Einmaleffekt» bei
Treibhausgasen. «Nach der Krise sind diese Emissionen wieder da.»
Ähnlich hatte sich zuvor ein Experte seiner Behörde geäußert: «
Und
wenn man die Wirtschaftskrisen ansieht, dann kam es nach den
Einbrüchen mit niedrigen Emissionen danach zu einem noch stärkeren
Anziehen der Konjunktur und höheren Emissionen.» Der Konsum werde oft
nachgeholt.

Nicht nur aus ökonomischer Sicht ist genau das häufig die Hoffnung.
Dann ziehen jedoch auch die Abgaswerte neu an. «Die Chinesen
produzieren wieder», sagte der Chef des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung in Berlin, Marcel Fratzscher, im
Deutschlandfunk. «Die fangen jetzt langsam wieder an. Wir sind
vielleicht knapp zwei Monate hinter China, vielleicht ein bisschen
weniger.» Die große Hoffnung sei, dass es nicht schlimmer wird oder
nicht länger dauere als auch in China. «Aber darauf verlassen kann
man sich sicherlich nicht.»

Die Esa belegte diese Entwicklung in China, erst ein Absinken, dann
das Ansteigen von NO2, in Bildern, die am 19. März präsentiert
wurden. Sie stammen vom Satelliten Copernicus Sentinel-5P. Wobei die
Esa-Experten darauf hinwiesen, dass die Aufnahmen nur Hinweise gäben.
Es spielten auch andere Faktoren eine Rolle, etwa das Wetter.

Andere Experten mahnen gleichfalls zur Vorsicht bei der
Interpretation von Satellitenbildern. Sie ersetzten keine
Schadstoffmessungen nah am Boden, zeigten also nicht, welche Qualität
die eingeatmete Luft aufweise, hieß es. Vielmehr sei dort der
Schadstoffgehalt in der «Luftsäule» von unten bis oben erfasst. «Si
e
sind ein Indiz, jedoch kein Beweis», sagte Ute Dauert,
Fachgebietsleiterin beim Umweltbundesamt.

Ob die Luft in Deutschland durch weniger Fahrten und das
vorübergehende Schließen industrieller Anlagen wirklich zeitweise
sauberer wird, sei bisher kaum vorherzusagen. Seriös lasse sich der
Corona-Effekt auf die Luftqualität nicht schnell messen, erläuterte
Dauert. «Man kann sich das erst später angucken, wenn alle Daten
wirklich vorliegen», betonte sie. «Abgerechnet wird zum Jahresende.»


Denn bei den Bilanzen spiele zum Beispiel das Wetter eine Rolle: Bei
einer austauscharmen Wetterlage reichern sich Schadstoffe in der Luft
an. Kräftiger Wind hilft hingegen, die Schadstoffe zu verteilen.
Hinzu kämen aktuell auch Einträge von Feinstaub aus der
Landwirtschaft, der bei der Düngung der Felder gebildet werde. Alle
diese Aspekte spielten eine Rolle. Erst wenn alle Daten zusammen
seien, könne man die Effekte der Veränderungen durch die Maßnahmen
der Corona-Krise bewerten, sagt Dauert.

Nach Einschätzung der Denkfabrik Agora Energiewende wird Deutschland
als Folge der Corona-Krise jedenfalls sein Klimaschutz-Ziel für das
Jahr 2020 erreichen. Es könnten je nach Ausmaß der Krise nicht nur
wie angestrebt 40 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 ausgestoßen
werden, sondern sogar bis zu 45 Prozent weniger, sagte Agora-Direktor
Patrick Graichen am Freitag in Berlin.

Bei langfristigen Klimaprognosen fürchten einige Fachleute hingegen,
dass der Corona-Effekt negativ sein könnte: Die Virus-Krise könnte
die des Klimas von der Agenda der Politik verdrängen.