Zögern beim Ausgangsverbot in NRW - Aber Städte ziehen Schrauben an

Immer noch gibt es viel Leichtsinn trotz Corona. Darum ziehen Köln,
Leverkusen und Dortmund jetzt die Schrauben an. Von einem
landesweiten Ausgangsverbot wie in Bayern hält NRW-Regierungschef
Laschet aber wenig - das sei nur das «allerletzte Mittel».

Düsseldorf (dpa/lnw) - Das erste Corona-Wochenende ohne Kino,
Theater, Kneipe oder Fußball - obwohl es trotz strenger
Schutzmaßnahmen gegen das Virus noch immer viel Leichtsinn gibt,
sieht NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) ein Ausgangsverbot
als «allerletztes Mittel» - auch wenn in Bayern als erstem Bundesland
von Samstag an ein solches Verbot gilt. Stattdessen ziehen mehrere
NRW-Städte im Kampf gegen das Coronavirus die Schrauben auf andere
Weise an: Sie verbieten bereits kleinere Treffen in der
Öffentlichkeit - zwei Menschen, mit Abstand, zusammen - mehr ist
nicht mehr erlaubt. Im Kreis Heinsberg verbreiten die langsamer
wachsenden Infektionszahlen am Freitag einen ganz zarten
Hoffnungsschimmer.

Durch Schulschließungen und massenhaftes Homeoffice sind Züge und
Straßenbahnen leer geworden. Bis Ende der Woche soll das Angebot um
50 Prozent heruntergefahren werden. Autos werden kaum noch bewegt.
Ein neuer Notruf kam am Freitag aus der Wirtschaft, dieses Mal von
der angeschlagene Restaurantkette Vapiano.

Seine skeptische Haltung beim Ausgangsverbot zeigte Laschet etwa in
einer großen Bürger-Fragestunde des Radiosenders WDR 2: Schon jetzt
seien zahlreiche Grundrechte, wie die Bewegungsfreiheit und die
Religionsfreiheit eingeschränkt worden, sagte Laschet am Freitag.
«Der Staat muss sorgsam überlegen, wie weit kann er gehen.» Eine
Vorstufe zur Ausgangssperre sei ein Betretungsverbot auf öffentlichen
Plätzen. Über all das würden sich die Ministerpräsidenten am Sonnta
g
mit der Bundeskanzlerin abstimmen.

Zumindest teilweise scheint bei den Menschen Vernunft einzukehren: In
Köln waren die Straßen am Vormittag bei wenig einladendem Wetter
praktisch leer. In den wenigen Cafés, die noch auf hatten, holten
sich vereinzelte Kunden einen Coffee-to-go. «Aus vielen Städten und
Gemeinden wird uns berichtet, die Innenstädte seien wie
ausgestorben», sagte der Sprecher des Städte- und Gemeindebunds NRW
Philipp Stempel, aber: «Noch immer gibt es viel zu viele, die sich
fahrlässig verhalten und in Gruppen unterwegs sind.»

Dagegen gehen Köln, Leverkusen und Dortmund scharf vor:
«Ansammlungen von mehr als zwei Personen werden aufgelöst, soweit
diese nicht zum engsten Familienkreis gehören», kündigte Köln an.
Ähnlich Leverkusen. Die Stadt erlaubt nur wenige Ausnahmen - etwa für
Leute, die zusammenwohnen, bei Besorgungen zur Deckung des täglichen
Bedarfs oder aus zwingenden beruflichen Gründen. Polizei und
Ordnungsamt sollen kontrollieren. In Dortmund sind nach Partys am
Poenix-See von Samstag an Ansammlungen von mehr als vier Personen
verboten.

NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) sagte: «Es ist völlig okay,
wenn jeder OB in seinem Verantwortungsbereich schaut, wie
diszipliniert in seiner Stadt umgegangen wird.» Es liege an allen,
sich zurück zu nehmen, um Ausgehverbote und Ausgangssperre zu
vermeiden.

Auch wenn die Zahl der bestätigten Infektionen am Freitag landesweit
von knapp 5000 (Donnerstag 16.00 Uhr) auf 6257 (Stand: 16 Uhr)
gestiegen ist, gibt es einen ersten Hoffnungsschimmer. Im bundesweit
am stärksten betroffenen Kreis Heinsberg, in dem der entschiedene
Kampf gegen die Krankheit früh begonnen hatte, könnten die Maßnahmen

nach Einschätzung des Landrats Stephan Pusch jetzt greifen.

Nach den landesweit ersten Infizierten vor knapp drei Wochen hatte
der Kreis sofort Kitas und Schulen geschlossen und rund 1000 Menschen
in Quarantäne geschickt. Jetzt flachte die Kurve etwas ab, die Zahl
der Infizierten stieg weniger stark von 845 am Donnerstag nachmittag
auf 916 am Freitag um 16.00 Uhr. Die Zahl der Todesfälle in NRW lag
am Freitagnachmittag bei 20.

Laschet geht aber von einer hohen Dunkelziffer bei den Infizierten
aus. Mediziner rechneten damit, dass die Zahl der Menschen, die das
Coronavirus haben und es gar nicht merken, sieben- bis zehnmal höher
liege als die offizielle Zahl, sagte Laschet bei WDR 2.

Mit Einführung eines Sonderfahrplans müssen sich die Menschen in NRW
auf ein schmaleres Angebot im Schienennahverkehr einstellen. Der
werde schrittweise bis Ende kommender Woche um 50 Prozent
heruntergefahren, kündigte NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU)
an. Einige S-Bahnlinien könnten sogar um 80 Prozent ausgedünnt
werden. Nach Möglichkeit solle aber jede Strecke wenigstens im
Stundentakt bedient werden. Der Sonderfahrplan solle zunächst bis zum
19. April gelten.

Vor allem um durch die Coronakrise gestrandete Urlauber
zurückzuholen, wurde das Nachtflugverbot am Düsseldorfer Flughafen
vorübergehend aufgehoben. Es könnten nun Ausnahme-Genehmigungen für
Landungen nach 23 Uhr erteilt werden, so Wüst. In dem Zusammenhang
appellierte er, keine Reisen anzutreten: «Wer sich jetzt ohne Sinn
und Verstand in Not bringt, dem ist nicht zu helfen», sagte
er: «Bitte bleiben Sie zu Hause. Brechen Sie nicht in den Urlaub
auf.»

Die Corona-Krise hat auch die Tarifverhandlungen in der deutschen
Metall- und Elektroindustrie beeinflusst. Unter dem Druck der
Pandemie einigten sich IG Metall und Arbeitgeber am Freitag darauf,
die Löhne in diesem Jahr nicht mehr zu erhöhen. Arbeitnehmer mit
kleinen Kindern erhalten zusätzliche freie Tage, Kurzarbeiter können
auf Zuzahlungen setzen. Mit dem Abschluss sind die regionalen
Verhandlungen für die rund 4 Millionen Beschäftigten bundesweit
faktisch bis zum Jahresende ausgesetzt worden.

Große Sorgen bei der Restaurantkette Vapiano: Die Corona-Krise hat
das ohnehin angeschlagene Unternehmen in die Insolvenz getrieben.
Vapiano SE richtete einen «dringenden Appell an die Bundesregierung
zur schnellen Umsetzung der wirtschaftlichen Hilfen in der
Covid-19-Krise».

Hilfe gibt es für durch die Coronakrise bedrohte Künstler: Sie
könnten unbürokratisch eine Einmalzahlung in Höhe von 2000 Euro
beantragen, die nicht zurückgezahlt werden müsse, sagte NRW-Kultur-
und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos).

Eine ungewöhnliche Sitzung steht im Düsseldorfer Landtag an: Die
Abgeordneten sollen am kommenden Dienstag zu einer Sondersitzung
zusammenkommen, um an nur einem Tag einen Nachtragshaushalt für das
25-Milliarden-Hilfspaket der Landesregierung zu verabschieden. Nach
dpa-Informationen einigten sich die Fraktionen darauf, dass jeweils
nur ein Drittel ihrer Abgeordneten ins Plenum kommt - um Abstand
halten zu können.

Unterdessen wirbt Borussia Dortmund um Unterstützung für die Kneipen
und Büdchen, die bei ausfallenden Spiele nichts verdienen. Bei einer
Solidaritätskampagne sollen die Fans an einem «digitalen Spieltag»
ein bisschen von dem Geld, das sie normalerweise für die Wurst, ihr
Bier oder den Kaffee ausgegeben hätten, an den jeweiligen Betrieb
spenden.