Letzter Ausweg Staatsbeteiligung? Regierung will alle Register ziehen Von Andreas Hoenig und Theresa Münch, dpa

Die Auswirkungen der Corona-Krise nehmen für viele Unternehmen immer
bedrohlichere Ausmaße an. Was kann der Staat noch tun? Die
Bundesregierung arbeitet unter Hochdruck an Lösungen. Klar ist: Der
Bund will sich höher verschulden. Und die EU lockert Haushaltsregeln.

Berlin (dpa) - Die Ereignisse in der Corona-Krise überschlagen sich,
Unternehmen kämpfen um ihre Existenz - die Bundesregierung ist nun
bereit, aufs Ganze zu gehen. Sie erwägt eine Staatsbeteiligung an
angeschlagenen Firmen über einen milliardenschweren Rettungsfonds.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte der Deutschen
Presse-Agentur, ein «Ausverkauf» deutscher Wirtschafts- und
Industrieinteressen müsse verhindert werden. Erste bekannte Firmen
sind zahlungsunfähig. In der Metall- und Elektroindustrie kommt es zu
einem Not-Abschluss ohne Lohnerhöhung. Die EU-Kommission lockert in
einem einmaligen Schritt Haushaltsregeln. Ein Überblick:

RETTUNGSFONDS DER BUNDESREGIERUNG:

Die Regierung hat bereits verschiedene Maßnahmen beschlossen, um Jobs
und Firmen zu schützen - das Kurzarbeitergeld wurde erweitert, ein
unbegrenztes Kreditprogramm auf den Weg gebracht. Für
Solo-Selbstständige und Kleinstfirmen soll es in Form direkter
Zuschüsse Staatshilfen geben.

Nun könnte ein weiteres Instrument dazukommen: Nach Informationen aus
Regierungskreisen wird derzeit ein Rettungsfonds beraten. Dieser
könnte ein Volumen von rund 500 Milliarden Euro haben, über die Summe
gebe es aber noch keine Einigkeit. Der Fonds könnte bei einer Sitzung
des Kabinetts am Montag beschlossen und noch in derselben Woche im
Bundestag auf den Weg gebracht werden.

Ziel ist es, Unternehmen durch das Gewähren von Garantien vor der
Pleite zu retten. Vorbild für das neue Instrument soll der
Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (Soffin) sein, mit dem der
Staat während der Finanzkrise vor zwölf Jahren Banken aus der
Schieflage rettete.

Altmaier sagte, es dürfe nun «keine Tabus» geben. «Vorübergehende
und
zeitlich begrenzte Staatshilfen, bis hin zu Beteiligungen und
Übernahmen müssen möglich sein.»

FIRMEN WOLLEN SCHNELLE HILFEN:

Ein beschlossenes unbegrenztes Kreditprogramm soll Jobs und Firmen
schützen, es richtet sich vor allem an kleine und mittlere
Unternehmen. Ziel ist es, Liquidität sicherzustellen - damit also
Firmen weiter laufende Kosten wie Mieten zahlen können, auch wenn
Umsätze massiv einbrechen und kaum oder keine Einnahmen in die Kasse
kommen.

Die staatliche Förderbank KfW und die Kreditwirtschaft hatten am
Mittwoch erklärt, Unternehmen könnten ab sofort Hilfskredite
beantragen. Die KfW bietet den Geschäftsbanken je nach Programm an,
70 bis 80 Prozent des Kreditrisikos zu übernehmen. Das soll den
Finanzinstituten die Vergabe von Darlehen erleichtern. Die Förderbank
erhält dafür staatliche Garantien. Eine Sprecherin Altmaiers sagte am
Freitag, die Hilfen sollten ab Montag zur Verfügung stehen.

Wirtschaftsverbände aber äußerten massive Kritik daran, dass die
Programme zu kompliziert seien. DIHK-Präsident Eric Schweitzer sagte
am Freitag: «In der aktuellen Situation werden an sich gut wirkende
Soforthilfen wie Steuerstundungen, Zuschüsse und staatliche
Kreditgarantien ausgebremst, wenn sie jetzt nicht schnell und einfach
funktionieren.» Die Hilfen müssten in der nächsten Woche bei den
vielen Solo-Selbständigen, bei den Kleinstunternehmen und bei den
Mittelständlern ankommen, sonst kämen sie für viele zu spät.

Die angeschlagene Restaurantkette Vapiano meldete am Freitag, sie sei
zahlungsunfähig. Die Firma appellierte an die Regierung, die
angekündigten wirtschaftlichen Hilfen müssten schnell kommen. Damit
hofft der Vorstand, den innerhalb einer Frist von drei Wochen
gebotenen Insolvenzantrag doch noch abwenden zu können.

EINMALIGER SCHRITT DER EU-KOMMISSION:

Die EU-Kommission lockert angesichts der erwarteten Wirtschaftskrise
infolge der Coronavirus-Pandemie die Haushaltsregeln. «Heute, und das
ist ganz neu, aktivieren wir die allgemeine Ausweichklausel. Das
wurde noch nie zuvor getan», sagte EU-Kommissionschefin Ursula von
der Leyen in einem auf Twitter veröffentlichten Video. Nationale
Regierungen dürften nun unbegrenzt in die Wirtschaft investieren. So
könnten sie den Unternehmen «in dieser unverschuldeten Krise»
beistehen. Im Deutschlandfunk hatte von der Leyen betont, die 27
EU-Staaten sollten für die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen
der Corona-Krise großen Spielraum haben. Die einzelnen Länder
bräuchten «maximale Beinfreiheit, um gezielt den Unternehmen, die
jetzt in der Krise sind, helfen zu können».

NOTFALLREGELUNG IN SCHULDENBREMSE:

Deutschland steht in der EU finanziell und wirtschaftlich zwar
vergleichsweise hervorragend da. Auch die Bundesregierung aber muss
in der Krise nun ihre finanziellen Spielräume erhöhen. Sie will
deswegen eine Notfallregelung in der Schuldenbremse ziehen. So soll
ermöglicht werden, dass sich der Bund in der Corona-Krise deutlich
höher verschuldet als bisher erlaubt. Nach dpa-Informationen soll das
Kabinett am Montag eine entsprechende Regelung beschließen, der
Bundestag soll im Laufe der Woche zustimmen.

Geplant ist nach dpa-Informationen zudem ein Nachtragshaushalt für
das Jahr 2020. Über die Höhe ist noch nicht endgültig entschieden, im

Gespräch ist ein Volumen zwischen 60 und 100 Milliarden Euro. Das
Geld wird benötigt, um die Folgen der Corona-Pandemie zu lindern.

NOT-ABSCHLUSS BEI METALLERN:

In der Metall- und Elektroindustrie erzielten Arbeitgeber und
Gewerkschaft unter dem Druck der Corona-Krise einen schnellen
Tarifabschluss, der für bundesweit 4 Millionen Beschäftigte gelten
soll. Die zunächst in Nordrhein-Westfalen geschlossene
Pilotvereinbarung sieht vor, die Löhne in diesem Jahr nicht mehr zu
erhöhen. Arbeitnehmer mit kleinen Kindern erhalten zusätzliche freie
Tage, für Kurzarbeiter soll es Ausgleichszahlungen geben.