Wilde Welt der Verschwörungstheorien: Wie das Virus der Politik dient Von Christiane Jacke, Jörn Petring und Jan Kuhlmann, dpa

China und der Iran sind vom Coronavirus stark betroffen. Das nährt
auch die Fantasie von Verschwörungstheoretikern. Sie sehen einen
alten Verdächtigen am Werk, der seinen Feinden schaden wolle.

Bagdad/Teheran/Washington (dpa) - Der tödliche Gegner ist klein und
mit bloßem Auge unsichtbar. Das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 gibt
selbst Fachleuten noch einige Rätsel auf - und bietet sich deswegen
geradezu ideal für Verschwörungstheorien an, die in der Welt
kursieren, befeuert von Politikern, Fanatikern, vermeintlichen
Experten und sozialen Medien. Besonders hoch im Kurs unter
Verschwörungstheoretikern steht ein alt-bekanntes Narrativ: Hinter
dem Virus stecken angeblich die USA, die ihre Gegner schädigen und
ihre Herrschaft über die Welt festigen wollten.

Als vermeintlicher Beweis wird angeführt, dass ausgerechnet die
Länder besonders schwer unter dem Virus litten, die mit Washington in
einem Konflikt ständen: China und der Iran. Nicht zuletzt die
iranische Führung, mit US-Präsident Donald Trump tief verfeindet,
spielt mit dieser Sichtweise. So erklärte der Chef der iranischen
Revolutionsgarden, Hussein Salami, das Coronavirus könnte ein
«biologischer Angriff der USA» sein. Auch Irans mächtigster Mann, der

oberste Führer Ajatollah Ali Chamenei, übernahm diese
Verschwörungstheorie: «Es besteht die Eventualität, dass die
Verbreitung des Corona-Virus im Iran ein biologischer Angriff ist.»

Dabei wenden sie einen alt-bekannten rhetorischen Kniff an: Sie
sprechen im Konjunktiv und stellen nur die Möglichkeit in den Raum,
dass es so sein könnte, ohne sich tatsächlich konkret festzulegen.
Doch allein der Verdacht reicht schon aus, um eine solche Erzählung
in den Köpfen der Menschen zu verfestigen. Denn das ist das Tückische
an Verschwörungstheorien: Sie bleiben konkrete Beweise schuldig,
klingen aber irgendwie plausibel und lassen der Fantasie Platz.

Im benachbarten Irak machte der einflussreiche schiitische Prediger
Muktada al-Sadr, dessen Block der stärkste im dortigen Parlament ist,
US-Präsident Donald Trump direkt für die weltweiten Infizierungen
verantwortlich: «Trump, du und deinesgleichen werden beschuldigt,
diese Krankheit verbreitet zu haben», schrieb er in der vergangenen
Woche auf Twitter und wetterte in Anspielung auf mögliche
Impfstoffe: «Welche Behandlung du und deine infizierten Firmen auch
immer herausbringen, wir wollen sie nicht.» Mehr als 11 000 «Gefällt

mir»-Reaktionen erhielt er dafür in dem Kurznachrichtendienst.

Al-Sadr, der vor allem unter armen Schiiten im Irak eine große
Gefolgschaft hat, instrumentalisiert das Coronavirus in einem
Machtkampf. Seit Wochen wird im Irak um eine neue Regierung gerungen.
Im Hintergrund versuchen der schiitische Iran und die USA, die noch
Truppen im Land haben, Einfluss auf die Regierungsbildung auszuüben.

Aber auch im Konflikt zwischen den USA und China spielt das Virus
mittlerweile eine Rolle. Die Spannungen zwischen beiden Seiten
eskalierten, nachdem der Sprecher des chinesischen Außenministeriums,
Zhao Lijian, Mitte März auf Twitter eine Theorie ins Spiel gebracht
hatte, wonach das US-Militär für den Ausbruch des neuartigen Virus
verantwortlich sein könnte. «Wann gab es den Patienten Null in den
USA? Wie viele Menschen sind infiziert? Wie heißen die Krankenhäuser?
Es könnte die US-Armee sein, die die Epidemie nach Wuhan gebracht
hat. Seid transparent! Machen Sie Ihre Daten öffentlich! Die USA
schulden uns eine Erklärung!», schrieb Zhao.

Der russische Ultranationalist Wladimir Schirinowski ließ in einem
Radiointerview ebenfalls wissen, bei Corona handele es sich um eine
neue biologische Waffe, die vom Pentagon eingesetzt werde. Das Virus
sei über Flugzeuge in China ausgesetzt worden, sagte er. Verdienen
würden daran am Ende amerikanische Pharmakonzerne.

China wiederum reagierte mit den indirekten Anschuldigungen auf
Verschwörungstheorien, die in den USA kursieren, befeuert vom
republikanischen Senator Tom Cotton. Darin wird der Ausbruch mit
einem Labor in Wuhan in Verbindung gebracht - jener Stadt in China
also, in der die Pandemie ihren Anfang nahm.

Cotton sagte schon im Januar im Senat, er wolle festhalten, dass die
Chinesen in jenem Labor «mit den weltweit tödlichsten Erregern - ja,
inklusive dem Coronavirus» hantierten. Eine von Cottons «Hypothesen»

lautet, der Erreger könnte dort durch einen Fehler oder vielleicht
auch bewusst freigesetzt worden sein. Er spricht schon seit Wochen
von dem «chinesischen Virus» oder dem «Wuhan-Virus». Auch hier
wieder: Reden im Konjunktiv. In Brasilien löste Präsidenten-Sohn
Eduardo Bolsonaro mit seinem Vorwurf, China habe das Coronavirus
verheimlicht, gar eine diplomatische Krise aus.

Inzwischen nutzen auch Trump und US-Außenminister Mike Pompeo diese
Begriffe öffentlichkeitswirksam: Der US-Präsident spricht konsequent
vom «chinesischen Virus», Pompeo vom «Wuhan-Virus». Sie verbreiten

damit selbst zwar keine Verschwörungstheorie, bereiten aber den Boden
dafür und befördern eine Stigmatisierung Chinas und der dortigen
Bevölkerung. Trump will davon nichts wissen - Kritik an seiner
Wortwahl weist er zurück. «Das ist überhaupt nicht rassistisch»,
entgegnete er. «Es kommt aus China.» Er wolle nur genau sein.

Ein anderer Erzfeind beschuldigt die USA hingegen nicht, für die
Lungenkrankheit verantwortlich zu sein. Die Terrormiliz Islamischer
Staat (IS) sieht in dem Virus vielmehr Gottes Werk: Krankheiten
verbreiteten sich nur auf dessen Befehl, heißt es im
Propagandamagazin «Al-Nabaa». Auch in das Weltbild der sunnitischen
Extremisten passen China und der Iran als Opfer: China wird demnach
bestraft, weil das Land muslimische Uiguren verfolgt, der Iran, weil
die dortigen Schiiten angeblich vom wahren Glauben abweichen.