Laschet: Ausgehsperre nur letztes Mittel - Vorstufe Betretungsverbot Von Bettina Grönewald, dpa

Bürger fragen, Laschet antwortet: ganz Landesvater, ganz Staatsmann.
Eine Pflicht in der Corona-Krise, aber auch ein Vorteil im Wettbewerb
um den CDU-Bundesvorsitz. Seine Linie: Bitte keine Ausgangssperre.
Auch an Leute in kleinen Mietwohnungen müsse gedacht werden.

Düsseldorf (dpa/lnw) - Trotz steigender Corona-Infektionszahlen lässt
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) weiterhin
wenig Sympathie für eine Ausgangssperre erkennen. In einer
Bürgersprechstunde des Senders WDR 2 bekräftigte er am Freitag: «Die

Ausgangssperre ist wirklich das allerletzte Mittel.»

Kurz vor dem Treffen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten
zur Corona-Krise am kommenden Sonntag schob Laschet eine mildere
Variante in den Vordergrund: «Es gibt ja noch eine Alternative»,
wandte er auf Forderungen von Hörern nach «Ausgangssperre mit Strafe»

ein. «Eine Vorstufe ist ein sogenanntes Betretungsverbot öffentlicher
Plätze.» Damit sei auch denen beizukommen, die allen Warnungen zum
Trotz meinten, sie müssten noch «bei schönem Wetter am Rhein sitzen
und Party feiern».

Die Nöte von Minijobbern und Kassierinnen, Ärger über Kita-Gebühren

ohne Betreuungsangebote, mangelnde Corona-Tests und immer wieder
Ausgehverbote und der damit drohende «Lagerkoller» - in der
Hörersprechstunde schallte Laschet das pralle Leben entgegen.
Brigitte fragte den Regierungschef: «Ich hätte mal gerne gewusst, was
wollen Sie dagegen tun, dass die Leute zuhause durchdrehen, wenn die
aufeinander hocken und womöglich irgendwie Krawall machen?»

Für Laschet eine hochwillkommene Frage, weil sie den Kern seiner
Bedenken gegen ein Ausgehverbot trifft. Es sei «eine gravierende
Maßnahme», Menschen in einem dicht besiedelten Ballungsraum mit
vielen teils engen Mietwohnungen zu verpflichten, zuhause zu bleiben
und das wochenlang durchzuhalten, unterstrich er. «Die Konsequenzen
muss man mit bedenken: dass es da zu Konflikten in der Familie kommen
kann», mahnte der Ministerpräsident.

«Da kann man leichter drüber reden, wenn man ein Haus mit Garten
hat», stellte er fest. «Wir wissen das ja beispielsweise von
Weihnachten und Heiligabend - dass das oft die meisten
Polizeieinsätze sind, weil die Menschen lange Zeit mehrere Feiertage
zusammen sind.»

Konzentriert und ohne in Verlegenheit zu kommen, arbeitete Laschet
Frage für Frage ab. Dass er dabei ganz die Rolle des fürsorglichen
Landesvaters ausspielen konnte, bringt seine Mitbewerber um das Amt
des CDU-Bundesvorsitzenden, Friedrich Merz und Norbert Röttgen,
strategisch ins Hintertreffen.

Seit Tagen ist Laschet vielgefragter Interviewpartner in den großen
Talkshows und Nachrichtensendungen, während Merz coronainfiziert in
häuslicher Quarantäne bleiben muss. Täglich zeigt sich Laschet auf
vielen Kanälen als Macher in Regierungsverantwortung. Bei jeder
Gelegenheit mahnt er staatsmännisch Gemeinsamkeit und abgestimmtes
Vorgehen von Bund und Ländern in der Corona-Krise an.

Merz und Röttgen mussten sich hingegen von CDU-Parteichefin Annegret
Kramp-Karrenbauer wegen allzu offensichtlicher Profilierungsversuche
öffentlich rüffeln und indirekt nach ihrer Kanzlerfähigkeit fragen
lassen. Einzig Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) prescht
in der Corona-Krise immer wieder vor und stiehlt Laschet bisweilen
die Schau - auch in die WDR-Hörersprechstunde platzte die Eilmeldung,
dass Söder weitreichende Ausgangsbeschränkungen für Bayern ankündig
t.

Er halte es für klug, an der Verabredung mit der Kanzlerin
festzuhalten, am Sonntag beim Treffen mit den Ministerpräsidenten
über ein gemeinsames Vorgehen zu beraten, kommentierte Laschet die
Nachricht. Er appellierte erneut an die Bürger, alle unnötigen
Zusammenkünfte zu meiden und Abstand zu halten.

«Lassen wir uns doch selbst in die Pflicht nehmen, dass die Regel,
die kommt, nicht so streng sein muss», mahnte der 59-Jährige. «Alles,

was generelles Verbieten vermeidet, ist besser.» Auf jeden Fall sei
zu gewährleisten, dass die Leute noch an die frische Luft und
Patchworkfamilien noch zusammen kämen.

Die Zahl der Coronavirus-Infektionen in NRW kletterte am Freitag auf
über 6250 nachgewiesene Fälle (Stand: 16 Uhr) - etwa 1300 mehr als
zur gleichen Zeit am Vortag. Die Zahl der gemeldeten Todesfälle lag
am Freitagnachmittag bei 20.

Mediziner rechneten damit, dass die Zahl der Menschen, die das
Coronavirus haben und es gar nicht bemerken, sieben- bis zehnmal
höher liege als die offizielle Zahl, sagte Laschet. NRW sei aber
gerüstet und habe genügend Plätze zur intensivmedizinischen
Versorgung. «NRW hat mehr Intensivplätze als ganz Italien.»

Dennoch müsse auch in NRW nachgeschärft werden, räumte er ein. Das
Landeskabinett werde am Sonntag weitere Maßnahmen zur Eindämmung der
Pandemie beschließen. Unter anderem werde die Liste der Berufe
nachgearbeitet, die noch ihre Dienste anbieten dürften. Dabei sei
auch über Baumärkte und Restaurants zu reden.

Für die vielen Helfer, die in der Corona-Krise besonders für die
Gesellschaft da sein müssen, habe er abends noch nicht am Fenster
gestanden und geklatscht, antwortete Laschet in der Sprechstunde:
«Bisher noch nicht, weil ich um neun Uhr meistens noch nicht zuhause
bin.»