Vom Feindbild zum Vorbild: Ultras organisieren Hilfe in Corona-Krise Von Heinz Büse und Thomas Eßer, dpa

Beleidigende Plakate von Ultras gegen Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp
sorgten unlängst im Fußball für Unfrieden. In der Corona-Krise machen

viele Fußball-Fans positiv von sich reden - auch Ultras. Trägt das zu
einer nachhaltigen Befriedung des alten Konflikts bei?

Dortmund/Hannover (dpa) - Botengänge, Einkaufshilfen, Kumpelkisten -
Fußball-Deutschland erlebt eine Welle der Solidarität. Vor allem die
noch vor wenigen Wochen nach mitunter heftigen Protesten gegen
Club-Investoren wie Hoffenheims Dietmar Hopp und die DFL kritisierten
Ultras erweisen sich in der Corona-Krise als Helfer in der Not. Sig
Zelt von der Organisation ProFans ist guter Dinge, dass die
zahlreichen Aktionen das Image der Fans verändern. «Ich hoffe, dass
das auch den Ruf der Ultras etwas verbessert», sagte er der Deutschen
Presse-Agentur.

In bundesweit über 20 Initiativen bieten Fußball-Fans unter anderem
Botengänge oder Einkaufshilfe an. «In dieser Krise kommt es auf die
Solidarität an. Da ist es unsere Pflicht, nicht nur als Fußball-Fans,
sondern auch als Bürger zu versuchen, möglichst gut durch diese Krise
zu kommen», sagte André Golinski von einer Gruppe Hannover-96-Fans,
die gerade eine Fanabteilung gründen.

Für Union-Berlin-Anhänger Zelt kommt das Engagement vieler Fangruppen
nicht überraschend: «Das entspricht dem Selbstverständnis vieler
Ultras, dass sie der Gesellschaft etwas Gutes tun wollen. Nach dem
Motto: Wenn ihr unsere Fankultur akzeptiert, dann geben wir euch auch
etwas zurück.»

Nach schleppendem Beginn wächst die Nachfrage. Das hat nicht nur mit
der steigenden Zahl an Infizierten, sondern auch mit intensiverer
Öffentlichkeitsarbeit der Helfer zu tun. «Bisher haben wir nur im
Internet für die Aktion geworben. Nun verteilen wir Flyer in
Supermärkten, Apotheken und bei Ärzten», sagte ein Sprecher der im
Bündnis «Südtribüne Dortmund» organisierten Fans. Zu den rund 90

ehrenamtlichen Dortmunder Helfern gehört auch der ehemalige
Nationalspieler und BVB-Profi Kevin Großkreutz, der derzeit beim
Drittligisten KFC Uerdingen unter Vertrag steht.

Den bisher größten Bedarf gibt es bei Einkaufsgängen für in
Quarantäne befindliche Menschen oder für Ältere und Bedürftige, die

der Risikogruppe angehören. «Wir achten dabei auf hygienisch und
medizinisch sichere Umsetzung, weshalb die Zahl unserer
Einkaufshelfer auf eine sehr kleine Gruppe beschränkt bleibt und sie
mit Mundschutz und Handschuhen agieren. Wir lassen uns zudem von
medizinischen Experten beraten», hieß es in einer Erklärung von
Nürnberger Vereinsmitarbeitern und Fan-Gruppen.

Ultras aus Gelsenkirchen packen mit Unterstützung des FC Schalke 04
und finanzieller Hilfe der vereinseigenen Stiftung sogenannte
«Kumpelkisten». Sie werden an Personen aus dem Stadtgebiet
ausgeliefert und verkauft, die sich in Quarantäne befinden, zu einer
Risikogruppe gehören oder im medizinischen Sektor arbeiten. «Die
darin enthaltenen Produkte sichern die Lebensmittelgrundversorgung»,
teilte der Revierclub mit. Andere Fan-Gruppen wie die «Südkurve
München» riefen zu Blutspenden auf oder bieten sogar Gassi-Gänge fü
r
Hunde an.

Auch die durch die Corona-Krise besonders belasteten Mitarbeiter in
Krankenhäusern erfahren Solidarität. «Wenn ihr an eure Grenzen geht,

denkt daran, dass diese Stadt hinter euch steht!», steht auf
Spruchbändern, die Ultra-Gruppen und das Bündnis «Südtribüne
Darmstadt» an heimischen Kliniken anbrachten.

In Briefen, die vor Supermärkten zu lesen sind, wird den dortigen
Mitarbeitern gedankt: «Ihr rackert, um die Regale für uns zu füllen,

sitzt mit Handschuhen an der Kasse, um den Betrieb für uns aufrecht
zu erhalten, öffnet womöglich bald auch sonntags und habt daheim
selbst Familien und Kinder zu versorgen. Ihr seid nun - gemeinsam mit
einigen anderen Berufsgruppen - die Aushängeschilder unser Stadt!»

Die Frage, ob die Hilfsaktionen zu einer besseren Reputation der
Ultras und nachhaltig zur Befriedung der angespannten Beziehung
zwischen Teilen der Fans und der DFL beiträgt, spielt für viele
Ultras nur eine untergeordnete Rolle, meint Hannover-Fan Golinski:
«Ich glaube, das ist den Ultras relativ egal. Es ist nach wie vor
eine unbequeme Jugend-Subkultur. Es war den Ultras vorher egal, wie
ihr Ruf ist, es ist ihnen jetzt egal, und es wird ihnen in Zukunft
egal sein. Es ist einfach nicht relevant, was Menschen aus anderen
Gesellschaftsschichten über Ultras denken.»