Frankreich wird eingesperrt - Passierschein im Kampf gegen Corona Von Julia Naue und Christian Böhmer, dpa

Der Gang zum Supermarkt wird zu einem freudigen Ereignis. Denn
Einkaufen ist in Frankreich noch erlaubt. Ansonsten gilt die
Ausgangssperre. «Restez chez vous!», lautet die Devise - «Bleibt
zuhause!». Aber nicht alle halten sich daran.

Paris (dpa) - Paris im Frühling: Ein Besuch auf dem Eiffelturm, die
Mona Lisa im Louvre, ein Stopp im Straßencafé. All das fällt wegen
der Corona-Krise derzeit aus. Die Tourismusmetropole wirkt vielerorts
leer und ausgestorben. Die meisten Geschäfte sind zu, denn seit
Dienstag gilt in Frankreich eine Ausgangssperre. «Restez chez vous!»
(«Bleibt zuhause!»), lautet die wenig charmante Anweisung der
Behörden - und das in der Kapitale der Mode, der Theater und der
schicken Restaurants.

Wer darf raus?

Die Ansage der Regierung ist deutlich: Nur wenn es unbedingt nötig
ist, sollen die Menschen das Haus verlassen. Das heißt konkret:
Lebensmittel einkaufen, den Arzt aufsuchen, zur Arbeit gehen, wenn
das Homeoffice keine Option ist. Auch Sport ist erlaubt. Allerdings
nur allein, kurz und in der Nähe der Wohnung. Spazierengehen ist kein
Grund, das Haus zu verlassen. Und jeder muss ein offizielles
Formular, eine Art Passierschein, dabeihaben. Darauf muss vermerkt
sein, warum man vor die Türe geht. Die Polizei kontrolliert strikt,
manchmal ist der Ton freundlich, manchmal weniger. Wenn man sich
nicht an die Regeln hält, drohen 135 Euro Bußgeld.

Wie sieht der Alltag aus?

Trotz der Einschränkungen fahren Busse und die Métro, auf Baustellen
sind Arbeiter unterwegs. Vor einigen Supermärkten gibt es
Warteschlangen, in anderen sind nur wenige Kunden anzutreffen.
Zahlreiche Menschen tragen eine Gesichtsmaske. Die Stadt dürfte kaum
so viele Jogger gesehen haben wie in vergangen Tagen. Bei sonnigem
Wetter waren am Seine-Ufer so viele Menschen unterwegs, dass die
Regionalzeitung «Le Parisien» am Freitag ungewöhnlich deutlich zu
mehr Verantwortungsbewusstsein aufrief und an Hunderte Tote der
Pandemie erinnerte. Die Stadt reagierte rasch - und sperrte für
dieses Wochenende die beliebten Seine-Ufer für Passanten.

Wie ist die Lage außerhalb der Hauptstadt?

Die Ausgangssperre gilt für das ganze Land. Gerade in den klassischen
Tourismusregionen greifen Bürgermeister und Behörden durch. Strände
werden für Besucher geschlossen. Die Riviera-Metropole Nizza, die so
stolz ist auf ihr atemberaubendes Mittelmeerpanorama, sperrt sogar
die weltberühmte Flaniermeile Promenade des Anglais.

Hat Staatschef Emmanuel Macron die Lage im Griff?

Seine TV-Ansprache zu Wochenbeginn gipfelte in den Worten: «Wir sind
im Krieg.» Der 42-Jährige verkündete die Ausgangssperre und sagte die

zweite Runde der Kommunalwahlen im Land ab. Seitdem ist der einstige
Senkrechtstarter jeden Tag an der Corona-Front zu sehen, ob im
Krankenhaus oder bei Forschern. Auch der mächtigste Franzose
kritisiert seine Landsleute - sie würden auf die
Sicherheitsanweisungen der Regierung «à la légère» - also
leichtfertig - reagieren. Manche fühlen sich an den immer noch im
Land verehrten Weltkriegshelden Charles de Gaulle erinnert, der die
Franzosen einmal das «beweglichste und ungehorsamste Volk der Welt»
nannte.

Hat die Regierung rechtzeitig gehandelt?

Diese Frage führt zu Streit. Denn die frühere Gesundheitsministerin
Agnès Buzyn gab in der Zeitung «Le Monde» ein Interview und meinte,
sie habe die Mitte-Regierung von Premier Édouard Philippe bereits im
Januar - also sehr frühzeitig - vor der Ausbreitung des Virus
gewarnt. Die Ärztin gab dann im Februar ihren Ministerposten auf, um
bei den Kommunalwahlen für den Pariser Bürgermeisterposten zu
kandidieren. «Als ich das Ministerium verließ, weinte ich, weil ich
wusste, dass eine Tsunamiwelle vor uns lag.»

Die erste Runde der Wahlen fand am vergangenen Sonntag trotz massiver
Kritik noch statt, die Endrunde muss nun später nachgeholt werden.
Macrons Erzfeindin Marine Le Pen wirft der Regierung Versagen vor:
«Alles wurde zu spät gemacht, die Grenzen wurden nicht schnell genug
kontrolliert, wir testen nicht genug Leute, wir haben nicht genug
Desinfektionsmittel (und) Masken», moniert die Rechtsaußenpolitikerin
vom Rassemblement National (RN/früher: Front National).

Wo könnte es brenzlig werden?

Frankreichs Gefängnisse sind ohnehin schon überfüllt. Und nicht
wenige befürchten, dass sich dort wiederholen könnte, was bereits in
Italien passiert ist: Aufstände, Tote. Es bestehe jederzeit die
Gefahr eines starken Anstiegs der Spannungen und die Gefahr von
Unruhen, warnen Experten. Mit der Ausgangssperre fallen in den
Haftanstalten die Besuche weg, auch Therapien und Schulungen finden
nicht mehr statt. Das sei für die Gefangenen eine extrem schwierige
Situation. Hinzu komme, dass sich das Coronavirus schnell ausbreiten
könne. Teilweise müssen sich bis zu vier Häftlinge eine Zelle teilen.

Mitunter gibt es Schlafsäle mit noch mehr Insassen.