2020-Ziel ganz nah: Rettet das Coronavirus Deutschlands Klimabilanz? Von Teresa Dapp, dpa

Homeoffice und abgesagte Familienfeste - in der Corona-Krise bleiben
die Leute zu Hause. Autobauer und Zulieferer fahren die Fertigung
runter. Der Ausnahmezustand senkt den CO2-Ausstoß deutlich, sagen
Experten - und kann dem Klima dennoch schaden. Warum das?

Berlin (dpa) - Es sieht auf den ersten Blick wie eine gute Nachricht
fürs Klima aus. Weil in der Corona-Krise die Leute zu Hause bleiben
und die Industrie weniger produziert, schafft Deutschland sein
Klimaschutz-Ziel Experten zufolge sicher. Es könnten - je nach Ausmaß
der Krise - nicht nur wie angestrebt 40 Prozent weniger Treibhausgase
als 1990 werden, sondern sogar bis zu 45 Prozent, sagte
Agora-Direktor Patrick Graichen am Freitag in Berlin. Nur: Das helfe
wenig, wenn dafür weniger in klimafreundliche Technologien wie
Ökostrom und Elektroautos investiert werde. Im Gegenteil, dann könne
das Virus langfristig den Kampf gegen die Erderhitzung ausbremsen.

Graichen appellierte deswegen an die Politik: Konjunkturhilfen
müssten «grün» sein und auf CO2-Sparen statt auf Kohle und Öl set
zen.
Damit ist er nicht allein. Der Chef der Internationalen
Energieagentur (IEA), Fatih Birol, hat die Krise als Chance für
Staaten gewertet, Wachstumspakete für «saubere» Energie zu schnüren
.
Umweltverbände und Stiftungen appellieren an Bund und EU, den
europäischen «Green Deal» - und damit Treibhausgas-Neutralität bis

2050 - zum Maßstab für Wirtschaftshilfen zu machen. «Der Green Deal
muss die Entscheidungsgrundlage für alle Konjunkturhilfen sein»,
sagte auch die Grünen-Klimapolitikerin Lisa Badum.

Für das laufende Jahr allerdings scheint es jetzt schon recht sicher,
dass der CO2-Ausstoß im laufenden Jahr deutlich sinkt. Im vergangenen
Jahr lag er Berechnungen des Umweltbundesamts (UBA) zufolge bei 805
Tonnen, das waren 35,7 Prozent weniger als 1990. Ziel sind 40 Prozent
bis 2020, dafür müssten es nochmal gut 50 Millionen Tonnen weniger
werden. Aus Sicht von Agora Energiewende wäre das je nach Entwicklung
der Krise eher die Untergrenze - auch eine Minderung von 120
Millionen Tonnen zusätzlich wäre demnach denkbar. Das wären sogar 45

Prozent weniger als 1990. Ein Blick auf drei wichtige Bereiche:

VERKEHR: Die Menschen seien weniger mit dem Auto unterwegs, weil sie
nicht mehr reisen sollten oder dürften, sagte Graichen. Das drücke
die Emissionen im Verkehr. Der individuelle Pkw-Verkehr macht rund 60
Prozent der Treibhausgas-Emissionen in diesem Bereich aus. 7 bis 25
Millionen Tonnen weniger CO2-Äquivalente - eine Einheit, in die alle
Treibhausgase umgerechnet werden - könnten hier anfallen.

INDUSTRIE: Unterbrochene Lieferketten, Personalengpässe, kaum
Aufträge, schon jetzt leidet die Wirtschaft unter der Corona-Krise.
Den CO2-Ausstoß drückt es vor allem, wenn die energieintensiven
Grundstoffindustrien - wie Stahl, Chemie und Zement - weniger
produzieren. Dazu kommt es den Agora-Annahmen zufolge mangels
Nachfrage. 10 bis 25 Millionen Tonnen CO2 weniger wären die Folge.

STROMPRODUKTION: Schon bis Ostern werden Agora zufolge rund 20
Millionen Tonnen CO2 eingespart, weil es recht warm und windig ist
und der Gaspreis niedrig liegt. Das setzt klimaschädliche
Kohlekraftwerke unter Druck. Von Januar bis Mitte März habe der
Ökostrom-Anteil bei 52 Prozent gelegen. Nun komme der sinkende
Strombedarf wegen der Corona-Krise dazu. Je nach Szenario wären nach
den Berechnungen 30 bis 50 Millionen Tonnen CO2 weniger denkbar.

Kritik an den Berechnungen kam von FDP-Fraktionsvize Frank Sitta.
«Jetzt schon mögliche Zusammenhänge und Auswirkungen der andauernden

Corona-Krise auf das Klima erkennen zu wollen, ist trivial und
zutiefst zynisch», sagte er. Die Bundesregierung solle «nun erst
recht von ihrer Klima-Ideologiepalme herunterkommen» und etwa die
Einführung des CO2-Preises für Diesel, Benzin und Heizöl aussetzen.
Der Linke-Klimapolitiker Lorenz Gösta Beutin dagegen warnte, Corona-
und Klimakrise nicht gegeneinander auszuspielen.