Krisenmanager Seehofer - Wie sieht Deutschland in drei Wochen aus? Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa

Seehofer hat viele politische Schlachten und parlamentarische
Untersuchungsausschüsse hinter sich. Er weiß, dass es wichtig ist, in
Krisensituationen nicht auf Paragrafen zu schauen, sondern auf die
Verantwortung. Auch wenn die Verwaltungsjuristen Bedenken anmelden.

Berlin (dpa) - Horst Seehofer (CSU) ist in normalen Zeiten gerne auf
allen Kanälen präsent. Doch jetzt, in der größten Krise in der
Geschichte der Bundesrepublik, sieht man den 70-Jährigen kaum. Der
Bundesinnenminister wolle zur Zeit keine Interviews geben, sagt ein
Mitarbeiter. Ihm sei es wichtiger, sich auf die Lösung der
drängendsten Probleme zu konzentrieren, Vorsorge zu treffen für das,
was vielleicht in zwei oder drei Wochen zu bewältigen sein werde.

«Als im Februar darüber diskutiert wurde, ob man Fußballspiele oder
die Tourismusmesse absagen sollte, war Seehofer schon einen Schritt
weiter und hat sich vor allem Gedanken über Krankenhausbetten,
Schutzbekleidung und Einreisebeschränkungen gemacht», berichtet
jemand aus seinem Stab. Jetzt, wo laut über mögliche weitere
Einschränkungen der Bewegungsfreiheit nachgedacht wird, lasse sich
der Minister von den Fachleuten in seinem Haus beraten, wie die
öffentliche Sicherheit auch dann gewährleistet werden könne, wenn die

Menschen der zur Eindämmung der Corona-Pandemie beschlossenen
Beschränkungen irgendwann überdrüssig werden sollten und Kriminelle
versuchen sollten, aus der Ausnahmesituation Kapital zu schlagen.

Wenn die Corona-Krisenstabs-Gruppe des Innenministeriums
zusammenkommt, sitzen 12 bis 15 Männer und Frauen am Tisch. Neben
Seehofer sind meist sechs Staatssekretäre dabei, Abteilungsleiter und
Bundespolizeichef Dieter Romann. Die Teilnehmer der Runde wirkten
etwas verloren in diesem großen Besprechungsraum im Erdgeschoss, wo
in normalen Zeiten Sitzungen mit bis zu 50 Menschen stattfinden, sagt
ein Insider. Doch auch hier gilt die Devise «Abstand halten», damit
niemand den anderen infiziert. Die Ansage des Ministers lautet: Wir
müssen arbeitsfähig bleiben. Wer erkältet ist, Kontakt zu Menschen
aus Risikogebieten hatte, soll wegbleiben und sich testen lassen.

Am Donnerstag vergangener Woche weist Seehofer Romann an, die
Bundespolizei solle die Kontrollen im Grenzgebiet deutlich
intensivieren, mehr Personal direkt an die Grenze bringen und sich
auf stationäre Kontrollen einstellen. Vor allem da, wo
Corona-Risikogebiete jenseits der Grenze liegen oder wo besonders
viele Menschen aus den Nachbarstaaten einreisen, zum Einkauf oder um
auszugehen. Ab Freitag soll, so plant man im Innenministerium, an den
Grenzübergängen zu fünf Ländern nicht mehr nur stichprobenmäßig

kontrolliert werden. Den Bundespolizei-Chef muss Seehofer von der
Sinnhaftigkeit dieser Anordnung nicht überzeugen.

Doch dann kommen Bedenken aus dem Kanzleramt. Seehofer wird
zurückgepfiffen. Er, der lange als streitlustigstes Kabinettsmitglied
galt, schweigt dazu. Weil die Lage ernst ist, und kompliziert. Und
weil die Bürger ohnehin schon verunsichert sind von Ministern, die
etwas sagen, was zwei Tage später schon nicht mehr gilt.

Am Freitagmorgen, 13. März, ergreift der CDU-Innenpolitiker Armin
Schuster in der Sitzung der Unionsfraktion das Wort. Sein Wahlkreis
liegt in Baden-Württemberg an der Grenze. Frankreich und die Schweiz
sind hier praktisch um die Ecke. Schuster, der ehemalige
Bundespolizist, wirbt für mehr Kontrolle an der Grenze. Eine
komplette Grenzschließung, wie sie inzwischen von einigen
vorgeschlagen wird, lehnt er ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
entgegnet, so berichten Teilnehmer, sie wolle ohnehin noch im Laufe
des Tages mit Seehofer über die Grenz-Frage sprechen.

Am Sonntagmorgen leitet Schuster einen Brandbrief des
Oberbürgermeisters von Weil am Rhein, Wolfgang Dietz, an Seehofer
weiter. Am Mittag erhält der Innenminister grünes Licht für seine
Einreisebeschränkungen. In Windeseile wird für den Abend eine
Pressekonferenz organisiert. Nur wenige Journalisten kommen, die
anderen verfolgen am Bildschirm wie Seehofer ankündigt, an den
Grenzen zu Österreich, Frankreich, Luxemburg, Dänemark und der
Schweiz dürfe ab Montag nicht mehr jeder passieren. Er sagt, dies sei
«eine Sache, für die ich seit Freitag in der Tat, ziemlich gekämpft
habe».

Mit Merkel spreche Seehofer in diesen Tagen viel, heißt es aus seinem
Ministerium. Die Abstimmung sei eng, sie seien allerdings nicht immer
einer Meinung. Meist sei es Seehofer, der härtere Maßnahmen schneller
vorantreiben wolle. Grenzkontrollen, Einreiseverbote. Manchmal kommt
ihm dabei zupass, dass sein Erzrivale, Bayerns Ministerpräsident
Markus Söder (CSU), schon eigenständig weitreichendere Entscheidungen
getroffen hat.

Dass Asylbewerber trotz der Gesundheitskrise noch ins Land kommen
dürfen, sehe Seehofer kritisch, ist zu hören. Denn es gibt schon
Corona-Fälle in Sammelunterkünften. Wann das Bundesamt für Migration

und Flüchtlinge (Bamf) wieder voll arbeitsfähig sein wird, weiß
niemand. Die Bundesregierung sagt Termine ab, für März, für April und

für den Mai.

Davon, Seehofer vorzeitig aufs Altenteil zu schicken, spricht jetzt
niemand mehr. Genauso wie Annegret Kramp-Karrenbauer, die nun wohl
doch noch eine Weile CDU-Vorsitzende bleiben und die Bundeswehr in
einen wohl beispiellosen Hilfseinsatz führen muss, so erlebt auch
Horst Seehofer, der langjährige Minister und ehemalige
Ministerpräsident von Bayern, kurz vor seinem geplanten Ausstieg aus
der Politik die wohl härteste Bewährungsprobe seiner politischen
Laufbahn.