«Ich bin ins Klo gefallen!»: Wie sich Homeoffice mit Kindern anfühlt Von Jonas-Erik Schmidt, dpa

Das Coronavirus sorgt dafür, dass viele Eltern nun sehr viel Zeit mit
ihren Kindern verbringen - aber anders, als sie es sich immer
gewünscht haben. Funktionieren Homeoffice und Erziehung parallel? Die
neue Lebens- und Arbeitssituation führt zu mitunter absurden Szenen.

Köln (dpa/lnw) - Kann man mit Kindern im Homeoffice berühmt werden?
Ja! Das beste Beispiel dafür ist Robert Kelly, ein Politikprofessor.
2017 gab der Korea-Experte der BBC ein Skype-Interview - von zu
Hause. Leichtfertig hatte er dabei die Tür zu seinem Zimmer offen
gelassen. Seine vierjährige Tochter tanzte plötzlich ins Bild, Kelly
schob sie ungelenk zu Seite. Kurz darauf rollte auch noch der kleine
James in einem Laufstuhl herein. Das Chaos war perfekt und Kelly
plötzlich ein Internetstar - der Clip vom «BBC-Dad» ging viral.

Seit einigen Tagen gibt es in Deutschland viele
Robert-Kelly-Situationen. Um die Ausbreitung des Coronavirus zu
stoppen, sind Kitas und Schulen geschlossen, bis auf Ausnahmefälle
müssen Kinder zu Hause betreut werden. Viele Arbeitnehmer sind
notgedrungen ins Homeoffice gewechselt. Mit den Kollegen wird per
Video oder Telefon konferiert.

Dabei kommt es mitunter zu absurden Szenen. Mitten in einer
Telefonkonferenz ruft das Kind eines Kollegen aus dem Hintergrund:
«Papa, ich bin ins Klo gefallen!» Väter kämpfen in der Videoschalte

mit dem Sohn auf dem Schoß um den Erstzugriff auf ein Laptop-Headset,
um danach von Kollegen zu hören: «Euch zuzugucken ist besser als
Kino!». Oder es zeigen sich gleich ganz neue Verhaltensmuster.

«Nach drei Tagen «Familien-Homeoffice» ist das neue Lieblingsspiel
meiner Tochter «Arbeiten»», berichtet Moritz Merten aus Köln, der
eigentlich an einer Uni arbeitet. Seine fast zweijährige Tochter gibt
ihm dabei zu verstehen, dass man sie bitte in Ruhe lassen solle - sie
habe etwas zu erledigen. Hat sie sich so abgeguckt. «Dann tippt sie
auf einer alten Tastatur rum, die wir ihr mal als Spielzeug gegeben
haben», sagt Merten, von Beruf Soziologe. «Bin auf die langfristigen
Sozialisationseffekte gespannt.»

Tatsächlich hat das Coronavirus zu einem nie da gewesenen
Sozialexperiment geführt. In großer Zahl müssen sich Familien nun
komplett neu organisieren, Arbeit und Kindererziehung finden
plötzlich an einem Ort statt. Das ist nicht in erster Linie nur
lustig, sondern ein enormer Kraftakt.

«Das Homeoffice ist schon eine Herausforderung ohne Kind. Aber mit
Kind - je nach Alter - ist es hochproblematisch», sagt der
Arbeitspsychologe Frank Berzbach. Er selbst hat eine neunjährige
Tochter. Das gehe noch, sie könne sich auch mal selbst beschäftigen.
Bei kleineren Kindern ist das aber nicht möglich. «Das ist dann so,
als führe man gleichzeitig zwei Jobs aus», sagt Berzbach. Ist man zu
zweit, kann immerhin einer aufpassen. Was aber viel Organisation
verlangt. «Das wird nervlich und psychisch eine große Herausforderung
werden», sagt Berzbach. «Für alle.»

Wer kann, versucht dem arbeitspsychologisch düsteren Szenario mit
Witz und Kreativität zu begegnen. In Eltern-WhatsApp-Gruppen macht
die Anleitung für eine «Wohnzimmer-Safari» die Runde, bei der mit
Möbeln und Decken eine Art Erlebnisspielplatz im Wohnzimmer entsteht.
Klingt in der Theorie toll. Die Frage ist, ob man dafür die Nerven
hat, wenn man weiß, dass man in zwei Stunden ein wichtiges Projekt
abgeschlossen haben muss. Oder die Zeit. Eigentlich müsste man ein
Chamäleon sein - ein Auge auf den Bildschirm, eines auf das Kind.

Ganz zu schweigen davon, dass viele Wohnungen gar nicht dafür
ausgestattet sind, dass sich ein oder sogar zwei Leute einen
Arbeitsplatz einrichten. Viele Eltern hocken aktuell gekrümmt vor
einem Laptop am Küchentisch. Perspektivisch dürfte aus der
Coronavirus-Krise eine Rücken-Krise werden.

Und: Es fehlen Fluchtmöglichkeiten. Das Virus hat das öffentliche
Leben vor den Haustüren in weiten Teilen zum Erliegen gebracht -
Spielplätze, Cafés und viele Geschäfte haben geschlossen oder sollten

Tabu sein. Damit fehlt der Ausgleich. Auch die Kinder seien davon
genervt, meint Psychologe Berzbach. «Es ist ja nicht so, dass Kinder
primär gerne unter Erwachsenen sind.»

Wäre es doch nur wieder 2017. Da ging nur ein Video von einem Vater
im Homeoffice viral. Und kein Coronavirus.