Experte: Kontrollverlust macht Menschen bei Corona-Krise zu schaffen Interview: Julia Giertz, dpa

Die Corona-Krise bringt auch für die Psyche große Herausforderungen
mit sich. Bisherige Sicherheiten und Vorhersehbarkeiten geraten ins
Wanken.

Freiburg (dpa/lsw) - Die Menschen erleben mit der Corona-Krise eine
völlig neue Situation. «Sie müssen eine enorme Einschränkung
bisheriger Freiheiten verkraften», sagte der Vize-Präsident der
Landespsychotherapeutenkammer Martin Klett der Deutschen
Presse-Agentur.

Frage: Was ist für die Menschen besonders bedrückend?

Antwort: Ich glaube, es ist der Kontrollverlust und das Gefühl der
Ohnmacht. Die Hamsterkäufe sind der aus meiner Sicht misslungene
Versuch, die Kontrolle nicht zu verlieren. Aber eigentlich ist
klar: Die Corona-Epidemie überfordert uns medizinisch,
wirtschaftlich, psychisch. Es gibt so viele Fragen ohne die Spur
einer Antwort: Werde ich oder meine Familie infiziert, wie lang
dauert die Krise, werde ich meinen Arbeitsplatz behalten? Man muss
wohl diese Unwägbarkeiten ein Stück weit akzeptieren.

Frage: Wovor sollte man sich während der Krise aus
psychotherapeutischer Sicht schützen?

Antwort: Ich rate, dubiose Theorien im Internet zu ignorieren und nur
auf seriöse Quellen wie das Robert-Koch-Institut zurückzugreifen.
Abstand ist das Gebot der Stunde - von anderen Menschen und von
Horrornachrichten und -bildern etwa aus Italien.

Frage: Was lehrt uns die Krise über unser bisheriges Leben?

Antwort: Erst wenn Freiheit eingeschränkt wird, wird uns bewusst, wie
viel Freiheit wir eigentlich haben: uneingeschränkte Mobilität,
Freizeitangebote in Hülle und Fülle, eine funktionierende Verwaltung
mit all ihren Dienstleistungen. Diese bislang für selbstverständlich
gehaltenen Errungenschaften lernt man durch deren Einschränkung
besser schätzen.

Zur Person: Martin Klett ist Vize-Präsident der
Landespsychotherapeutenkammer mit rund 6000 Mitgliedern. Der
psychologische Psychotoherapeut ist auf die Behandlung von Kindern
und Jugendlichen spezialisiert. Der zweifache Vater wohnt in
Schallstadt, hat seine Praxis aber in der Freiburger Innenstadt.
Seine Hobbies sind Motorad- und Fahrradfahren sowie Wandern.