Prozess trotz Corona? - Anwälte scheitern in Karlsruhe

Können in Zeiten der Corona-Krise Gerichtsprozesse stattfinden? Und
wenn ja, wie? Gerichte in Deutschland beantworten diese Fragen
unterschiedlich. Aus Sicht von zwei Münchner Strafrechtlern geht das
so nicht.

Karlsruhe/München (dpa) - Zwei Strafrechtler wollten den Stopp zweier
Prozesse wegen der Ausbreitung des Coronavirus erzwingen - beim
Bundesverfassungsgericht sind die beiden erst einmal gescheitert. Es
wies am Donnerstagabend den Eilantrag der Anwälte ab, wie der
Gerichtssprecher der Deutschen Presse-Agentur in Karlsruhe sagte. Die
Kläger hätten sich zunächst auf niedrigerer Ebene rechtlich zur Wehr

setzen müssen. Außerdem lasse der Antrag eine argumentative
Auseinandersetzung mit der Ursprungsentscheidung vermissen.

Der Eilantrag war erst am Donnerstag eingereicht worden. Rechtsanwalt
Adam Ahmed sagte vor der Entscheidung in München: «Es geht um die
Ansteckungsgefahr und die Übertragungsgefahr für jeden
Prozessbeteiligten.» Erforderlich sei eine grundsätzliche Aussage.
«Man muss mal eine gewisse Linie reinbringen: Die einen Gerichte
machen es so, die anderen so.»

Ahmed kritisierte, neue Prozesse würden inzwischen zwar häufiger
abgesagt, laufende aber nicht. «Inkonsequenter kann die Justiz sich
dieser Tage nicht darstellen.» Konkret geht es Ahmed und einem
Kanzleikollegen um zwei Münchner Strafprozesse. Einer davon soll am
Freitag, der andere am Montag fortgesetzt werden.

Das Bundesjustizministerium arbeitet bereits an einer Regelung, die
es Gerichten gestattet, laufende Strafprozesse länger als bisher
erlaubt zu unterbrechen. Die Pause soll maximal drei Monate und zehn
Tage dauern dürfen. Die Entscheidung, ob die Aussetzung einer
Verhandlung angebracht ist, sollen die Gerichte unabhängig treffen.

Das bayerische Justizministerium rief die Gerichte im Freistaat
bereits dazu auf, wegen der rasanten Ausbreitung des neuartigen
Coronavirus, nur noch in absolut notwendigen Fällen im Gerichtssaal
zu verhandeln. Konkret bedeutet das: Hauptverhandlungstermine sollen
möglichst nur noch in Haft- und Unterbringungssachen durchgeführt
werden, in Verfahren, bei denen Verjährung droht oder sonstige
Fristen einzuhalten sind. Und in lang andauernden Verfahren, die sich
schon in einem fortgeschrittenen Stadium befinden und sonst neu
aufgerollt werden müssten.

Auch in Zivilverfahren sollen Verhandlungstermine möglichst nur in
eilbedürftigen und dringenden Fällen stattfinden - zum Beispiel in
Familien-und Betreuungssachen, in denen es etwa um Gewaltschutz oder
Kindeswohlgefährdungen geht.

Der Zugang zu Gerichtsverhandlungen sei weiterhin grundsätzlich
möglich, weil die Öffentlichkeit gewährleistet werden müsse. «G
äste
oder nicht am Verfahren beteiligte Personen werden dringend gebeten,
auf nicht notwendige Besuche bei Gericht zu verzichten», teilte das
Ministerium mit.

Ahmed ist nicht der erste Münchner Anwalt, der Verhandlungen in
Corona-Krisenzeiten nicht hinnehmen will. Am Dienstag zeigte der
Strafverteidiger Thomas Pfister einen Jugendrichter des Landgerichts
München I wegen versuchter Körperverletzung an, weil der trotz der
aktuellen Corona-Pandemie auf eine Verhandlung bestand. Der Richter
habe «bewusst eine Gefahrenlage» geschaffen und nehme «sehenden Auges

in Kauf, dass sich die Anwesenden im Sitzungssaal einem erhöhten
Ansteckungsrisiko aussetzen».

Gerichtssprecher Florian Gliwitzky wies die Vorwürfe gegen den
Richter zurück. Die Justiz könne auch in Zeiten des sich rasant
verbreitenden Coronavirus nicht die Arbeit einstellen. «Die Justiz
ist in bestimmten Bereichen systemrelevant.»