Coronavirus-Infektionen schnellen hoch: Plus 42 Prozent an einem Tag Von Iris Leithold, dpa

Die Zahl der nachgewiesenen Infektionen mit dem Coronavirus steigt
deutlich. Die Krankenhäuser fahren ihre Kapazitäten hoch.
Reha-Kliniken könnten «Hilfskrankenhäuser» werden.

Schwerin (dpa/mv) - Die Zahl der nachgewiesenen Infektionen mit dem
neuartigen Coronavirus ist in Mecklenburg-Vorpommern binnen eines
Tages um 42 Prozent auf 142 Fälle am Donnerstagabend emporgeschnellt.
Diese Zahl nannte der Infektiologe Emil Reisinger von der Universität
Rostock am Donnerstagabend bei einer Pressekonferenz der
Landesregierung in Schwerin. Dies sei eine deutliche Zunahme. Bei den
Infizierten handele es sich nicht mehr nur um Reiserückkehrer,
sondern auch um Menschen, die sich in Mecklenburg-Vorpommern
angesteckt haben.

Bislang werden laut Gesundheitsministerium sieben Patienten mit der
Lungenkrankheit Covid-19, die vom Coronavirus ausgelöst wird,
stationär behandelt. Die Krankenhäuser rüsten sich aber für eine
deutlich größere Zahl an Erkrankten. Nach Angaben des Ministeriums
sind die Intensivbetten von 215 auf über 440 mehr als verdoppelt
worden. Weitere Aufstockungen seien möglich. Minister Harry Glawe
(CDU) sprach am Abend von 515 Betten bei den Maximalversorgern und
Unikliniken. Wenn weitere Kapazitäten nötig werden sollten, würden
auch mit kleineren Krankenhäusern Gespräche geführt.

Vor zunächst vier großen Kliniken, beginnend in Greifswald, werden
mobile Fieberzentren eingerichtet, wie Glawe weiter sagte. Dort
sollen Patienten mit Corona-Infektion von Patienten mit anderen
Viruserkrankungen - wie Grippe - getrennt werden, um sie auf
verschiedenen Stationen zu behandeln.

Um der wachsenden Nachfrage nach Tests auf das Coronavirus
nachzukommen, stellt das Land den beiden Universitätskliniken in
Rostock und Greifswald jeweils 200 000 Euro zur Verfügung. Damit soll
der Gerätepark in den Labors aufgestockt werden, wie es hieß.
Zusätzliche Kapazitäten seien wichtig, damit bei steigenden
Verdachtsfällen weiterhin schnell und zuverlässig getestet werden
kann. Die Testauswertungen erfolgten auch am Wochenende, sagte Glawe.

Auch die Zahl der Testzentren im Land steigt dem Minister zufolge. Zu
den bisher elf Abstrichzentren sei ein weiteres in Rostock
hinzugekommen. Bei steigendem Bedarf würden noch mehr eröffnet.

Die Landesregierung beriet mehrere Stunden mit Vertretern aus dem
Bereich Gesundheit, Pflege und Soziales über das weitere Vorgehen.
Auf der Tagesordnung stand unter anderem die mögliche Schließung der
Behindertenwerkstätten mit mehr als 8000 Beschäftigten sowie der
Tagespflege-Einrichtungen. Ergebnisse lagen zum Zeitpunkt der
Pressekonferenz dazu noch nicht vor, wie Ministerpräsidentin Manuela
Schwesig (SPD) sagte.

Laut Glawe gibt es Überlegungen, Reha-Kliniken in MV zu
«Hilfskrankenhäusern» für leichtere Fälle aus den Kliniken zu mac
hen,
wenn dort Platz gebraucht wird. Nicht alle der mehr als 60
Reha-Kliniken würden frei, sagte der Minister. Bestimmte
Reha-Leistungen, wie Anschlussheilbehandlungen nach Operationen,
müssten aufrechterhalten werden. Aber: «Freiwerdende Kapazitäten
werden in die Überlegungen einbezogen.» Themen wie diese sollen bei
einem Treffen mit Vertretern der Krankenhäuser, der Reha-Kliniken und
der Krankenhausgesellschaft am Freitagnachmittag besprochen werden.

Die Beschränkungen des öffentlichen Lebens, die verhängt worden sind,

um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, haben viele unangenehme
Folgen. So hat die Öffnung weiterer Grenzübergänge nach Polen für
Autos dem Riesen-Lkw-Stau auf der Autobahn 11 Berlin-Stettin
(Szczecin) keine Entlastung gebracht. Lastwagen und Autos standen am
Donnerstagnachmittag in Richtung Polen über 43 Kilometer von Pomellen
in Vorpommern bis ans Kreuz Uckermark bei Prenzlau (Brandenburg), wie
Polizeisprecher in Potsdam und Neubrandenburg erklärten. Hauptgrund
seien die noch immer langwierigen Kontrollen polnischer
Sicherheitskräfte im Zusammenhang mit der Abwehr des Virus.

Die Grenzschließungen infolge der Krise gefährden die Spargelernte.
Erste Erntehelfer aus Rumänien, die anreisen wollten, seien an der
Grenze zu Ungarn abgewiesen worden, sagte Landwirtin Yvonne von Laer
vom Hof «Mecklenburger Frische» in Tieplitz bei Güstrow. Der Betrieb,

der großflächig Spargel und Erdbeeren anbaut, benötige rund 40
Erntehelfer für den Spargel und ab Anfang Juni weitere 120 Helfer für
die Erdbeerernte. Die Helfer für die Erdbeerernte kämen aus der
Mongolei, Usbekistan, der Ukraine, Rumänien und Polen. Es drohten
riesige Einbußen, wenn sie nicht einreisen können. Der erste Spargel
ist nach Worten von Laers voraussichtlich in zwei bis drei Wochen
reif zum Stechen.

Um die wirtschaftlichen Folgen der Veranstaltungsverbote für Künstler
und Kulturschaffende zu mildern, kündigte Martin einen Hilfsfonds für
die Kulturszene im Land an. Die Ministerin twitterte: «MV ist gerade
dabei, einen Hilfsfonds aufzulegen, um auch Kulturschaffenden in
dieser harten Zeit zu helfen.» Die Linke forderte in dem Zusammenhang
Zuschüsse statt zinsloser Kredite. «Die meisten Kulturschaffenden
brauchen als Soforthilfe Zuschüsse, da sie in der Regel nicht in Lage
sind, Kredite abzustottern», sagte die kulturpolitische Sprecherin
der Linken im Landtag, Eva-Maria Kröger.

Seit Donnerstagnachmittag kontrolliert die Polizei die Einhaltung des
Einreiseverbotes für Touristen nach Mecklenburg-Vorpommern, wie
Innenminister Lorenz Caffier (CDU) informierte. Wer sich nicht daran
hält, begehe eine Straftat auf der Grundlage des
Infektionsschutzgesetzes, «die mit den notwendigen Sanktionen im
Zweifelsfall belegt werden könnte», sagte der Minister.
Polizeikontrollen fänden an den Hauptzufahrtsstraßen zum Land statt.
Bei einem Zweifel an der Plausibilität einer Reise werde die Polizei
Fahrzeuge zurückweisen. Caffier kündigte ebenfalls verstärkte
Polizeikontrollen in den landesinneren Tourismusregionen an.

Unterdessen wurde das Sonn- und Feiertagsfahrverbot für Lkw in
Mecklenburg-Vorpommern weiter eingeschränkt. Minister Christian Pegel
(SPD) erweiterte eine erste Verfügung aus der vergangenen Woche, die
zunächst nur für Lebensmittel, Hygiene- und medizinische Produkte
galt. Ab sofort können bis zum 30. Juni nun alle Waren auch sonn- und
feiertags durch MV transportiert werden. «Wir müssen sicherstellen,
dass alle jetzt benötigten Waren und Güter schnell und sicher an ihre
Bestimmungsorte kommen», betonte der Minister.