Epidemiologen fordern: Einschnitte müssen über Monate gelten

Keine Bäder und keine Bühnen, keine Kneipen, Kitas und kein
Schulunterricht: Deutschland fährt im Kampf gegen das Coronavirus die
Systeme herunter. Das ist gut, sagen Epidemiologen. Aber es könnte
nicht gut genug sein.

Ulm (dpa) - Die starken Einschränkungen durch die Corona-Pandemie
müssen nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie

(DGEpi) über mehrere Monate kontrolliert und unter Umständen auch
innerhalb der kommenden beiden Wochen verschärft werden. Ziel müsse
es sein, die Kapazitäten der Intensivstationen nicht zu
überschreiten, heißt es in einer Stellungnahme der Gesellschaft
(Ulm). Das gelinge nur, in dem das Tempo der Ansteckungen gedrosselt
werde.

Die Zahl der Infektionen mit dem Coronavirus steigt nach den
Erfahrungen der Forscher nicht linear, weil ein Infizierter im
Durchschnitt Analysen zufolge mehr als zwei weitere Menschen
ansteckt. Bei einem exponentiellen Wachstum verdoppelt sich deren
Zahl also mit jeder Ansteckungsrunde. Dieses Tempo soll gebremst
werden, indem neue Ansteckungen so gut wie möglich unterbunden
werden. Bereits kleine Veränderungen dieser sogenannten
Reproduktionszahl können erheblich sein. Die Kennzahl gibt an, wie
viele Menschen eine erkrankte Person im Durchschnitt infiziert.

«Um die Ausbreitung des Virus völlig in den Griff zu bekommen, ist es
auch entscheidend, wie die Gesellschaft die Regeln befolgt und sich
einschränkt», sagte Rafael Mikolajczyk, Direktor des Instituts für
Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik in Halle/Saale
am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. «Je mehr das verstanden
wird, um so weniger müssen die Maßnahmen verschärft werden.»

Nach Ansicht der Epidemiologen gibt es derzeit nur ein kurzes
Zeitfenster, in dem über das Eindämmen und Verlangsamen der
Infektionsausbreitung entschieden werden kann, ohne das
Gesundheitssystem zu überlasten.

Die DGEpi geht davon aus, dass die bisher getroffenen Maßnahmen die
sogenannte Reproduktionszahl bereits gesenkt haben. «Das Ausmaß ist
dabei nicht klar», sagte Mikolajczyk, der die Stellungnahme der DGepi
formuliert hat.

Da die Fallzahlen und somit auch die Zahl der intensivmedizinisch zu
betreuenden Patienten aber stark steigen, fordert der
Helmholtz-Chefepidemiologe Gérard Krause einen Strategiewechsel. Weil
es nicht mehr gelingen werde, ausreichend Intensivkapazitäten zu
schaffen, müsse die Zahl der schweren Erkrankungen so gering wie
möglich gehalten werden, sagte der Leiter der Epidemiologie am
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) der «Neuen
Osnabrücker Zeitung» (NOZ). Es dürften nicht alle Ressourcen gebunden

werden, um die Zahlen einzudämmen, denn sie fehlten, um Alte und
Vorerkrankte besser zu behandeln.