Camus und Cordon bleu: Löw als Galionsfigur in großer Gehaltsdebatte Von Arne Richter, dpa

«Macht, Gier und Profit...». Joachim Löw wird in der Debatte um einen

Gehaltsverzicht der Fußball-Millionäre zur moralischen Instanz. Der
Bundestrainer setzt mit Worten und Taten ein Zeichen, dem nun viele
folgen. Löw ist in der richtigen Position, um als Vorbild zu handeln.

Berlin (dpa) - Ob Joachim Löw oder Hans-Joachim Watzke jemals Werke
von Albert Camus gelesen haben, ist nicht bekannt. Vom französischen
Philosophen - einem leidenschaftlichem Hobby-Torwart - ist aus den
1950er Jahren der Satz überliefert: «Alles, was ich über Moral und
Verpflichtungen weiß, verdanke ich dem Fußball.» Nach dem
eindringlichen Appell und den tiefsinnigen Worten des Bundestrainers
zur Coronavirus-Pandemie ist klar, dass der Profi-Fußball gerade viel
von Löw über Moral und Verpflichtungen lernen kann. Aber womöglich
auch von Borussia Dortmunds Geschäftsführer Watzke.

Mit ihren Überlegungen zu einem Gehaltsverzicht haben Löw und
DFB-Direktor Oliver Bierhoff ein Signal an die plötzlich ängstliche
Glitzerbranche gegeben. Die Nationalspieler versprachen zudem per
kollektiver Videobotschaft eine Spende von 2,5 Millionen Euro für
Leidtragende der sich weiter rasant ausbreitenden Infektionswelle,
die auch ihren Sport derzeit zum Erliegen bringt.

Wenig später berichtete der «Kicker», dass Watzke auf ein Drittel
seines Gehalts verzichten wolle, so lange die Bundesliga pausiert.
Ein fehlendes Verantwortungsgefühl und kühler Kapitalismus waren dem
60 Jahre alten BVB-Chef zuvor vorgehalten worden, nachdem er in
ersten Reaktionen auf die Corona-Krise pauschale Solidarität für
durch die Zwangspause in ökonomische Schieflage geratene Vereine
abgelehnt hatte.

Löw war bei seinem ersten öffentlichen Auftritt moralischer Antipode
zu Watzke. «Denn der Mensch denkt immer, dass er alles weiß und alles
kann und das Tempo, das wir so die letzten Jahre vorgegeben haben,
war nicht mehr zu toppen. Macht, Gier, Profit, noch bessere
Resultate, Rekorde standen im Vordergrund», postulierte der ebenfalls
60-jährige Löw.

Am Donnerstag teilte Borussia Mönchengladbach als erster deutscher
Fußball-Proficlub mit, dass seine Spieler auf Teile ihres Gehalts
verzichten werden. «Der Trainerstab hat sich dem angeschlossen, genau
wie unsere Direktoren und Geschäftsführer», sagte Sportchef Max
Eberl. Nach Informationen der «Rheinischen Post» soll deutlich mehr
als eine Million Euro pro Monat gespart und somit das Einkommen
anderer Angestellter des Clubs gesichert werden. «Ich bin sehr stolz
auf die Jungs», sagte Eberl. Andere Clubs werden diesem Beispiel
sicher folgen.

Es mag Zufall gewesen sein, dass Löw sich nur wenige Stunden vor der
TV-Ansprache der Bundeskanzlerin ans (Fußball)-Volk richtete. Mit
Angela Merkel verbindet ihn seit Jahren ein Vertrauensverhältnis. Des
Öfteren war er schon im Bundeskanzleramt und bekam dort zum Essen auf
besonderen Wunsch Cordon bleu mit Pommes frites. Wie Merkel («Es ist
ernst.») brachte auch Löw am Mittwoch die Dinge auf den Punkt: «Die
Welt hat irgendwie ein kollektives Burn-out erlebt.»

In fast 14 Jahren als Bundestrainer hat Löw viele schwere Situationen
erlebt. Der Suizid von Nationaltorwart Robert Enke 2009, die Nacht in
den Katakomben des Stade de France nach den Anschlägen von Paris
2015. Kraftvolle wie wegweisende Worte fand er dann, wenn er nicht
auf seine genuine Aufgabe als Bundestrainer fokussiert war. In der
Erdogan-Affäre 2018 um Mesut Özil und Ilkay Gündogan gelang ihm -
schon im WM-Tunnel - das auch nicht.

Im Gegensatz zu Watzke und den anderen Club-Chefs ist Löw in einer
einfacheren Position. Er steht als (sehr) prominenter Mensch in der
Verantwortung, nicht aber als Führungskraft eines Unternehmens mit
Millionen-Umsatz und vielen Mitarbeitern, die deutlich weniger
verdienen als die Spieler und bei einem Konkurs schlecht dran wären.
Löw kann als Freigeist von Freiburg gesellschaftliche Anstöße geben -

und ist damit möglicherweise erfolgreicher und derzeit wichtiger denn
als Bundestrainer.

Aus dem Rentenstand meldete sich Bayern Münchens Triple-Trainer Jupp
Heynckes zu Wort. «Deshalb rufe ich auch die Spieler dazu auf, sich
ebenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht solidarisch und
partnerschaftlich zu zeigen. Sie müssen wissen, dass sie und ihre
Berater nicht mehr bestimmen, wie viel Geld sie verdienen, wenn das
jetzige System zerbricht. Verträge in diesen Größenordnungen gibt es

dann nicht mehr», schrieb der 74-Jährige in einem Gastbeitrag des
«Kicker» und redete den Profis ins Gewissen.

«Dieser Tage telefonierte ich mit einem Freund, er ist 95 Jahre alt
und zutiefst besorgt. Er hat den Zweiten Weltkrieg und - wie ich -
die Nachkriegszeit erlebt, den Hunger, die Nöte, den Wiederaufbau und
das damalige Gemeinschaftswerk. Eine solche Solidarität brauchen wir
jetzt wieder», forderte Heynckes.

Wie leicht die ganze Branche in Schieflage geraten kann, hatte schon
die Pressekonferenz von Liga-Boss Christian Seifert am Montag
demonstriert. So nachdenklich und förmlich weich hatte man den
Top-Manager noch nie gesehen. Insolvenzen, Kurzarbeit - ja, Kollaps.
Diese Worte waren für den Profi-Fußball fremde Vokabeln.

Als Erster hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder der
Glitzerwelt des Profi-Fußballs ins Gewissen geredet. Der
CSU-Politiker sagte, er fände es in Ordnung, wenn viele derjenigen
Spieler, «die ganz große Gehälter bekommen», ihren Arbeitgebern
gegenüber nun etwas zurückhaltender wären.

Die Clubs sind aber auf den Goodwill der Spieler angewiesen.
«Einseitige Gehaltskürzungen sind nicht möglich», sagte
Arbeitsrechtler Lennard Martin Lürwer der Deutschen Presse-Agentur.
Auch Gehaltsstundungen oder die Durchsetzung von Kurzarbeit gehen nur
über eine «individuelle Vereinbarung mit dem Spieler».

Camus musste wegen einer Tuberkulose-Erkrankung das Fußballspielen
aufgeben. «Ich begriff sofort, dass der Ball nie so auf einen
zukommt, wie man es erwartet. Das war eine Lektion fürs Leben»,
schrieb der Literaturnobelpreisträger. Auch Löw und Watzke würden
diese Ansicht derzeit sicher teilen.