Lagardes «Whatever it takes»: EZB legt Corona-Notprogramm auf

Die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise sind gewaltig. Nur eine
Woche nach der regulären EZB-Sitzung legen Europas Währungshüter
nach. Die Notenbank steckt hunderte Milliarden in Anleihen - vorerst.

Frankfurt/Main (dpa) - Europas Währungshüter legen im Kampf gegen die
wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise nach: Am späten Mittwochabend
überraschte die Europäische Zentralbank (EZB) die Märkte mit der
Ankündigung eines neuen Notkaufprogramms für Anleihen. 750 Milliarden
Euro will die Notenbank in Staats- und Unternehmenspapiere stecken -
vorerst. Das hilft Staaten wie Unternehmen: Sie müssen als Anbieter
der Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten, wenn eine Zentralbank
als großer Käufer am Markt auftritt.

Das «Pandemic Emergency Purchase Programme» (PEPP) soll solange
laufen, bis der EZB-Rat die Coronavirus-Krise für bewältigt hält - in

jedem Fall jedoch mindestens bis zum Ende dieses Jahres. Die
Währungshüter betonten, sie seien «ohne Einschränkung bereit, den
Umfang ihrer Kaufprogramme zu erhöhen und deren Zusammensetzung
anzupassen - und zwar so viel und so lange wie nötig».

Erst am Donnerstag vergangener Woche hatte der EZB-Rat in seiner
regulären Sitzung beschlossen im Rahmen seiner laufenden
Anleihenkaufprogramme zusätzlich 120 Milliarden Euro in die Hand zu
nehmen, um die Folgen der Virus-Pandemie abzufedern. Auch andere
Zentralbanken - unter anderen die US-Notenbank Fed - stemmen sich mit
Zinssenkungen und milliardenschweren Anleihenkäufen gegen die Krise.
Bislang ließen sich die Finanzmärkte davon kaum beruhigen: An den
Börsen weltweit sind die Kurse dramatisch eingebrochen. Der deutsche
Leitindex Dax stabilisierte sich nach der EZB-Ankündigung am
Donnerstag vorübergehend, drehte dann aber wieder ins Minus.

Noch vor einer Woche hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde betont,
in der aktuellen Krise seien in vorderster Linie die Staaten in der
Pflicht. Sie strebe kein «Whatever it takes 2.0» an, sagte sie in
Anspielung auf ihren Vorgänger Mario Draghi. Der Italiener hatte im
Sommer 2012 mit wenigen Worten die Eurozone in ihrer bis dato
tiefsten Krise stabilisiert: «Die EZB wird alles tun, um den Euro zu
retten» («Whatever it takes»).

Nun schrieb Lagarde auf Twitter: «Außergewöhnliche Zeiten erfordern
außergewöhnliches Handeln.» Und: «Es gibt für unseren Einsatz f
ür den
Euro keine Grenzen.» In der EZB-Mitteilung heißt es, die Notenbank
sei entschlossen, die finanziellen Rahmenbedingungen so zu gestalten,
dass alle Bereiche der Wirtschaft die Auswirkungen der
Coronavirus-Pandemie meistern könnten: «Das gilt gleichermaßen für

Familien, Firmen, Banken und Regierungen.»

Volkswirte werteten das EZB-Notpaket als Lagardes «Whatever it
takes»-Moment. «Die EZB-Aktion unterstreicht eine Schlüsselbotschaft:

Die Institutionen werden nicht zulassen, dass der Pandemieschock für
die Realwirtschaft eine echte Finanzkrise auslöst, die wiederum den
wirtschaftlichen Schaden verschärfen würde», kommentierte der
Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding.

Nach Ansicht des BVR ist das neue EZB-Kaufprogramm ein «weiterer
wichtiger Baustein» zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der
Pandemie. Auch die Sparkassen, die Anleihenkäufe in der Vergangenheit
besonders kritisch beurteilt hatten, werteten die Entschlossenheit
der EZB als gutes Zeichen: «Ich glaube, dass es notwendig ist, dass
man zeigt, dass finanzielle Kraft da ist», sagte Sparkassen-Präsident
Helmut Schleweis am Donnerstag in einer Telefonkonferenz.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte im
Deutschlandfunk, er hoffe, das EZB-Notprogramm werde zur
Vertrauensbildung beitragen. Es müsse verhindert werden, dass der
Euroraum insgesamt in Schieflage gerate. Sven Giegold, Sprecher von
Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament, befand: «Die EZB
handelt völlig richtig. Die Coronakrise darf nicht zu einer neuen
Eurokrise werden. Die EZB muss handeln, weil die Regierungen der
Eurozone zu wenig gemeinsam handeln.»

Die EZB ist seit Jahren im Krisenmodus. Der Leitzins im Euroraum
liegt seit nunmehr vier Jahren auf dem Rekortief von null Prozent.
Negativzinsen auf Einlagen sollen Banken dazu bewegen, mehr Kredite
zu vergeben, statt Geld bei der Notenbank zu parken. Zudem stellt die
EZB Langfristkredite bereit, um die Kreditvergabe zu beflügeln. Auf
diesem Weg besorgten sich Banken im Euroraum nach EZB-Angaben vom
Donnerstag weitere 115 Milliarden Euro.

Die laufenden Kaufprogramme der Notenbank für Anleihen haben mit gut
2,6 Billionen Euro bereits ein gewaltiges Volumen erreicht. Um für
weitere Käufe mehr Spielraum zu haben, ist die EZB bereit, ihre
selbst gesetzten Grenzen aufzuweichen. Bislang galt zum Beispiel die
Obergrenze, dass die EZB maximal ein Drittel der Staatsanleihen eines
Eurolandes kaufen darf. Nun ist mit einer Ausnahmeregelung zudem auch
der Ankauf von Staatsschulden Griechenlands möglich.

Weltweit stemmen sich Notenbanken und Regierungen gegen die
wirtschaftlichen Folgen der Krise. Die US-Notenbank Federal Reserve
senkte ihren Leitzins in zwei Schritten von 1,75 bis 1,5 Prozent auf
fast null Prozent. Zudem will die Fed die Wirtschaft mit einem 700
Milliarden Dollar schweren Anleihenkaufprogramm ankurbeln und Banken
vorübergehend Notfallkredite gewähren, wie sie es bereits nach der
großen Finanzkrise 2008 getan hatte.

Am Donnerstag legte auch die japanische Notenbank nach: Die Bank of
Japan (BoJ) bietet Banken weitere 4 Billionen Yen (rund 34 Milliarden
Euro) Liquidität an und weitet ihr Anleihenkaufprogramm um 1,3
Billionen Yen aus. Die australische Notenbank senkte ihren Leitzins
auf das Rekordtief von 0,25 Prozent, steigt in den Kauf von
Staatsanleihen ein und legt ein Kreditprogramm für Banken auf.