Häusliche Pflege soll einfacher werden - Neue Vorstöße zur Entlastung Von Basil Wegener und Jörg Ratzsch, dpa

Häusliche Pflege - Angehörige gehen dabei täglich an ihre Grenzen und

darüber hinaus. Und für digitale Helfer müssen die Betroffenen meist

selbst zahlen. Neue Vorstöße zielen auf spürbare Vereinfachungen ab.


Berlin (dpa) - Hunderttausende pflegende Angehörige in Deutschland
stehen wegen Überlastung kurz davor, ihren Dienst einzustellen. Ein
neuer Vorstoß aus der Bundesregierung zielt nun darauf ab, die Pflege
in den eigenen vier Wänden grundsätzlich zu erleichtern.
Verbraucherschützer fordern zudem die Kostenübernahme für sogenannte

digitale Pflegehelfer wie Sturzsensoren durch die Krankenkassen.

Von den 2,5 Millionen Menschen, die zuhause etwa Ehemann, Vater oder
Mutter pflegen, würden 185 000 ihren Dienst am Liebsten einstellen.
Das zeigte ein Pflegereport der Krankenkasse Barmer schon 2018. Der
Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus,
sagt: «Das wäre eine Katastrophe.» Nun legte Westerfellhaus ein
Konzept vor, das Betroffenen echte Erleichterungen bringen soll.

Heute leide die häusliche Pflege unter einem «Leistungsdschungel»,
heißt es dort. Hilfe durch einen ambulanten Pflegedienst, Pflegegeld,
Tagespflege, Nachtpflege, Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege -
durch den Wust vieler teils kombinierbarer, teils sich
ausschließender Leistungen könnten viele nicht durchsteigen. «Viele
geben auf dem Weg frustriert auf», sagt Westerfellhaus. Sein Rezept
dagegen: die Bündelung von Leistungen - und systematische Beratung.

BÜNDELUNG VON LEISTUNGEN:

Westerfellhaus will alle Mittel, die die Pflegekassen zur Betreuung
oder für Hilfsmittel zahlen, in ein für jeden individuelles
Betreuungsbudget fließen lassen. Aus einem zweiten Geldtopf, dem
Entlastungsbudget, sollen alle zeitweisen Aufenthalte der
Pflegebedürftigen in Einrichtungen gezahlt werden können, die die
Angehörigen für diese Zeit entlasten. Alle Leistungen sollen
flexibler als heute in Anspruch genommen werden können.

SYSTEMATISCHE BERATUNG:

Ähnlich dem Hebammen-System soll ein System an Ko-Piloten für die
Pflege aufgebaut werden: Pflegekräfte oder Sozialarbeiter sollen
regelmäßig nach Hause kommen, die Betroffenen beraten und die
passenden Angebote finden. Wird jemand neu pflegebedürftig, rechnet
Westerfellhaus mit einem Bedarf von 9 bis 13 Stunden pro Monat.

ERHOFFTER NUTZEN:

Durch die Budgets und die Beratung sollen die Beträge leichter zur
Verfügung gestellt und einfacher eingesetzt werden können. «Heute
müssen bis zu 20 unterschiedliche Anträge gestellt werden, um an
Leistungen zu kommen», sagt Westerfellhaus. Damit soll Schluss sein.
Es sei zwar nicht geplant, neue Leistungen zu bestimmen - aber es
würden wohl schon mehr Mittel genutzt. Beispiel: Bei Pflegegrad 3
soll ein Pflegebudget von 1500 Euro im Monat zur Verfügung stehen.
Nicht ausgeschöpfte Beträge sollen zu 50 Prozent ausgezahlt werden.
Das Entlastungsbudget soll 4600 Euro im Quartal betragen.

UMSETZUNGSCHANCEN:

Nun kommt es auf Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an. Eine
Sprecherin nannte den Vorstoß einen «interessanten Debattenbeitrag».

Spahn wolle bis Mitte des Jahres selbst neue Finanzvorschläge
vorlegen - inwieweit er sich die Vorschläge seines Bevollmächtigten
aneignet, ist offen. Das Entlastungsbudget steht aber auch im
Koalitionsvertrag als Plan. Sozialverbände wie der VdK Deutschland
machen Druck für eine Umsetzung.

DIGITALE PFLEGEHELFER:

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) fordert eine
Entlastung von Betroffenen und Angehörigen durch die Kostenübernahme
für digitalen Pflegehelfern. Kassen sollten demnach die Kosten für
Produkte wie Ortungs-, Notruf- oder Sturzerkennungssysteme tragen.
Gleiches gilt auch für Abschaltsysteme für Haushaltsgeräte oder
digitale Hilfen zur Erinnerung an die Nahrungs- und Getränkeaufnahme.

Dafür wären Änderungen im Sozialgesetzbuch notwendig, so der Verband,

denn die Pflegeversicherung dürfe bisher nur Hilfsmittel erstatten,
die nicht als sogenannte Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens
eingestuft würden. vzbv-Chef Klaus Müller: «Wenn digitale
Pflegehelfer den Umzug in ein Pflegeheim hinauszögern oder gar
verhindern, bedeutet das eine deutliche finanzielle Entlastung der
Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen.» Der Vizechef des
Kassen-Spitzenverbands, Gernot Kiefer, betonte, sinnvolle digitale
Assistenzsysteme sollten schnell eingesetzt werden. Es müssten aber
Anträge gestellt werden, die Geräte auf ihren Nutzen zu prüfen, so
Kiefer.