Mordprozess in Österreich - Gläubige Deutsche ließen Tochter sterbe n Von Fabian Nitschmann, dpa

Ein streng gläubiges Ehepaar lässt seine schwerkranke Tochter
entscheiden, ob sie ins Krankenhaus möchte oder nicht. Die 13-Jährige
verneint - und stirbt. Das Gericht im österreichischen Krems muss nun
entscheiden: Mordeten die beiden Deutschen durch Unterlassung?

Krems an der Donau (dpa) - Es ist eine der entscheidenden Fragen der
Richterin: Sie will wissen, ob aus der Sicht des Angeklagten die
Menschen nicht in die Natur, in Gottes Pläne, eingreifen dürfen. Der
39 Jahre alte Mann vor ihr überlegt lange. Er ist in Österreich
angeklagt - wegen Mordes durch Unterlassung an seiner eigenen
Tochter, die unter schweren Schmerzen mit 13 Jahren starb. Der
Angeklagte ist streng gläubig, Mitglied einer Freikirche, er
bezeichnet sich als Missionar und Prediger.

Seine chronisch kranke Tochter brachte er auch am 17. September 2019,
ihrem Todestag, nicht in ein Krankenhaus. Stattdessen betete und
fastete er. Vor Gericht machte er nun deutlich, dass er sich wegen
seines Glaubens streng zur Wahrheit verpflichtet fühlt. Dann
beantwortet er die Frage der Richterin: «Ja.»

Der Deutsche, geboren in Usbekistan, musste sich am Mittwoch
gemeinsam mit seiner 35 Jahre alten Frau vor dem Landgericht in Krems
verantworten. Beide gaben zu, dass sie ihr Kind vernachlässigt und
Hilfe unterlassen haben, ein Mord waren die Geschehnisse vor fünf
Monaten ihrer Meinung nach aber nicht. «Ich hab mit ihr gesprochen,
sie gestreichelt, ihr zu trinken gegeben. Ich hab geglaubt, dass Gott
sie gesund macht», sagte die 35-jährige Deutsche unter Tränen.

Das Urteil sollte überraschenderweise noch am Mittwochabend gefällt
werden - ursprünglich war nächste Woche ein zweiter Verhandlungstag
angesetzt. Den beiden Eheleuten drohen bei einer Verurteilung
Freiheitsstrafen von zehn bis zu 20 Jahren oder eine lebenslange
Strafe.

Das Mädchen starb nur zehn Tage nach ihrem 13. Geburtstag. Laut
Anklageschrift litt sie an einer chronischen Entzündung der
Bauchspeicheldrüse. Im Sommer 2017 war das damals schwerkranke Kind
in lebensbedrohlichem Zustand auf Drängen des Jugendamtes im
Krankenhaus, dort wurde die Diagnose gestellt. Die Eltern gaben an,
in den Tagen danach Kontrolltermine bei Ärzten wahrgenommen zu haben
- danach sah das Kind keinen Mediziner mehr, soll den Eltern zufolge
aber auch keine weiteren Gesundheitsprobleme gehabt haben. Laut einem
Gutachter verläuft die diagnostizierte Krankheit «typischerweise
schubweise».

Als das Mädchen im September 2019 über Bauchschmerzen klagte,
brachten die Eltern das zunächst mit der ersten Periode des Mädchens
in Verbindung. Doch der Gesundheitszustand der Tochter
verschlechterte sich weiter - und das Ehepaar ließ sein Kind
entscheiden, ob es ins Krankenhaus will oder nicht. «Das war falsch»,
bekennt der Angeklagte. Er sagt das sehr oft, es wirkt ein wenig
auswendig gelernt.

«Sind sie überzeugt, dass Gott Kranke heilen kann?», will die
Staatsanwältin wissen. «Ja», sagt der Angeklagte, darauf habe er «b
is
zuletzt» gehofft und vertraut. Bei der Aussage einer Ärztin, die
einen Tag nach dem Tod mit den Eltern sprach, klingt das drastischer:
«Entweder er (Gott) heilt sie oder nicht», zitiert sie den Vater.
«Ich habe das Gefühl gehabt, das war richtig so für sie.»

Zu Beginn des Prozesses wirken beide Eheleute mitgenommen, bei den
einleitenden Worten der Rechtsanwälte kommen auch dem 39-Jährigen
erstmals die Tränen. Der Anwalt seiner Frau betont, dass das Ehepaar
voller Liebe und Zuneigung zur Tochter gewesen sei - und damit ganz
anders empfunden habe als Mörder es für gewöhnlich für ihre Opfer
tun. Auf diesen Punkt setzen die Anwälte ihre Verteidigung: Kann der
Tod des Kindes unter diesen Umständen ein Mord sein?

«Wir lieben doch unsere Kinder», sagt die 35-Jährige, die bei ihrer
Aussage immer wieder zu weinen beginnt. Acht Kinder hat sie auf die
Welt gebracht, als die Tochter starb, war sie gerade im neunten Monat
schwanger. Die Kinder wurden zu Hause unterrichtet, deswegen war das
Ehepaar vor acht Jahren von Deutschland nach Österreich umgezogen. In
der Alpenrepublik gibt es keine Schul-, nur eine Bildungspflicht.

Die Mutter beschreibt ihre gestorbene Tochter als lebendiges Kind,
das gerne Detektivgeschichten gelesen und vieles hinterfragt habe.
Wie die Eltern habe auch sie «alles mit Gott verbunden», um ältere
Menschen habe sie sich gerne gekümmert. «Sie hat jedes Tier mit nach
Hause gebracht und gepflegt. Sie war sehr hilfsbereit.»